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12 MIN

Sprecher: KS = Oberstarzt Kai Schlolaut, Kontingentführer; BG = Barbara Gantenbein

Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr.

BG: Herzlich willkommen zum Funkkreis heute aus der Südosttürkei. Hier ist Barbara Gantenbein. Ich bin in Altınözü. Das ist eine Stadt mitten im Erdbebengebiet, etwa 15 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Und hier errichtet die Bundeswehr zurzeit ein mobiles Rettungszentrum. Da sind die schnellen Einsatzkräfte Sanitätsdienst am Start und bauen dieses Rettungszentrum, dieses mobile Krankenhaus auf. Und bei mir ist jetzt der Kontingentführer. Das ist Oberstarzt. Dr. Kai Schlolaut Herzlichen Dank, dass Sie die Zeit für uns haben.

KS: Herzlich willkommen in Altınözü in der Türkei.

BG: Dankeschön. Herr Oberstarzt, Sie sind ja jetzt schon ein paar Tage, über eine Woche, hier. Was genau passiert jetzt gerade? Wir hören die Bagger im Hintergrund ab und zu auch mal paar Rufe der Kameraden draußen. Was genau passiert im Moment?

KS: Also, wir sind hier in Altinözü, in der Provinz Hatay. Das ist der südöstliche Zipfel der Türkei, der an Syrien grenzt. Und das ist ein Teil des Epizentrums dieses Erdbebens. Das Erdbebengebiet insgesamt muss man sich so vorstellen, dass das ungefähr der südlichen Hälfte Deutschlands entspricht, also ein riesengroßes Gebiet. Man hat unterschiedliche Eindrücke, wenn man hier ankommt. Wir sind in Adana gelandet, einer Stadt, die keinerlei Schäden aufweist, wo das normale tägliche Leben weitergeht. Und je weiter man dann hier in das Gebiet reinfährt, desto mehr zerstörte Häuser sieht man. Teilweise Ortschaften, die gar nicht betroffen sind, dafür andere oder auch Straßenstriche, die extrem stark betroffen sind. Man sieht ganz viele Zeltstädte, die inzwischen entstanden sind, aber auch Zelte vor den zerstörten Häusern, oder vor Häusern, wo sich die Menschen nicht reintrauen, weil sie vielleicht zusammenbrechen könnten.

BG: Ja, also wir sind ja die gleiche Strecke gekommen, die Sie vorher gefahren sind. Was ich auch so beängstigend fand, war, da waren teilweise ja nur die Erdgeschosse eingebrochen und die Häuser standen schief und dahinter lag alles in Schutt. Und da sind immer noch Menschen drunter, da sind noch Verschüttete. Also man weiß gar nicht, wie viele Tote man noch bergen wird in der nächsten Zeit. Wie empfinden Sie diese Situation?

KS: Das menschliche Leid, was dahinter steckt, das ist schon schwer zu erfassen, muss man wirklich sagen, weil wir kommen aus Deutschland hierher, wollen helfen, sind auch so fokussiert auf den Auftrag. Aber so ganz ausblenden kann man das auch nicht, weil für die Menschen ist das eine komplette Zerstörung von allem, was sie hatten. Gleichzeitig funktioniert hier aber in Altinözü zum Beispiel die Wasserversorgung, Stromversorgung, auch Telefon. Das funktioniert. Nur die Häuser sind kaputt, die Autos teilweise kaputt. Und andererseits sieht man auch wieder, dass so ein gewisser Handel auch wieder anfängt zu existieren.

BG: Wie war das hier auf der Platte? Wir haben ja hier ein relativ großes Gebiet und Sie haben ja hier eine Platte vorgefunden. Können Sie das so ein bisschen beschreiben? Wir sind am Ortsrand und was hier war, als Sie das erste Mal hierherkamen.

KS: Wir hatten eine Woche, bevor wir hierhergekommen sind, ein Fact Finding Team und wir haben natürlich die Region und den Ort zugewiesen bekommen vom türkischen Gesundheitsministerium, wo wir einen hervorragenden Kontakt und eine ganz tolle Zusammenarbeit haben. Dann wurde es diese Fläche hier, die so ungefähr 50 mal 120 Meter, würde ich Sie schätzen, groß ist. Hier ist früher mal eine Tabakfabrik gewesen. Die ist aber vor vielen Jahren schon abgerissen worden. Übergangsweise waren hier einzelne Flüchtlingszelte, die wurden vernünftig umgesiedelt. Wir hatten auch noch Verbindung mit diesen Familien, die sind sehr zufrieden in einem anderen Lager aufgenommen worden. Und dann musste hier neben den Betonflächen, die existierten, noch Wege rechts, links, in der Mitte mussten Dinge entfernt werden, geschottert werden, verdichtet werden, sodass wir eine vernünftige Aufbaufläche haben.

BG: Jetzt sind gestern die ersten Unterkunftszelte für die Kameradinnen und Kameraden aufgebaut worden. Also wir hatten jetzt schon das Privileg und konnten in einem festen Zelt übernachten, was ich persönlich sehr gut fand. Wie war das zuvor, als Sie hier waren und noch nichts aufgebaut war, wie haben Sie sich beholfen mit den ersten Kräften?

KS: Also die ersten Tage waren wirklich spartanisch, das heißt, das ist ein normales kleines Faltzelt, Luftmatratze, Schlafsack, für die Körperhygiene eine Waschschüssel mit einem Waschlappen, das musste reichen und die nächste Toilette ist einen Kilometer entfernt an einer Tankstelle gewesen.

BG: Also jetzt haben wir den Luxus und die Campingtoiletten. Das ist schon ganz wunderbar. Das kann man wunderbar so benutzen. Wir haben jetzt Campingduschen, also so, wie man es kennt, einen schwarzen Wassersack mit einem normalen kleinen Wasserschlauch dran. Das funktioniert alles gut. Da hat man stundenweise auch Strom von den Generatoren. Wie geht es jetzt weiter? Was wird jetzt alles Stück für Stück aufgebaut und wie kommt es überhaupt hierher?

KS: Also das, was Sie gerade ansprachen: Es fühlt sich jetzt nach einer Woche schon als Luxus an, es ist immer noch spartanisch. Es wird auch kein Luxus werden, weil unser Hauptauftrag ist jetzt wirklich zunächst den Feldlagerbereich, also den Menschen, die hier dann arbeiten sollen, ein Dach über dem Kopf, was zu essen und zu trinken und sanitäre Möglichkeiten bereitzustellen, damit die arbeiten können. Wir bauen also jetzt den Feldlagerbereich auf, damit wir dann danach Kräfte reinbringen können, also Soldatinnen und Soldaten und noch mehr Material um dann unser Rettungszentrum hier aufzubauen, um die lokale Bevölkerung hier medizinisch zu versorgen. Das versuchen wir so schnell wie möglich zu tun, weil das ist der Auftrag und der Sinn und Zweck warum wir hier sind.

BG: Das Material kommt ja so her, genau wie wir jetzt reingekommen sind. A400M größtenteils, landet auf der Basis Incirlik bei Adana und dann wird es ja hierher transportiert mit Lkw.

KS: Wir arbeiten hier in vielerlei Hinsicht mit ganz vielen lokalen Einrichtungen zusammen. Den Transport zum Beispiel des Materials und des Personals übernimmt die AFAD. Das ist die Katastrophenschutzorganisation hier in der Türkei, auch mit einer hervorragenden Unterstützung von uns. Wir arbeiten dann später, wenn wir die Behandlungseinrichtungen aufgebaut haben, zusammen mit UMKE. Das entspricht so ein bisschen dem Deutschen Roten Kreuz, also auch eine Government Organisation für medizinische Versorgung und Patiententransport. Für uns wichtig und dann natürlich mit dem lokalen Krankenhaus hier in Altinözü. Also weil hier in Altınözü sind wir die erste internationale Behandlungseinrichtung, die hier unterstützen wird. An anderen Orten in der Provinz gab es andere Nationen, die unterstützt haben und gibt es noch. Hier ist das Krankenhaus, das Gebäude steht, darf aber nicht mehr betreten werden, weil es Risse hat und instabil ist, sodass das Krankenhaus auch vor ihren Türen einen kleinen provisorischen Zeltbereich zur Behandlung aufgebaut hat. Und genau hier werden wir unterstützen und zusammenarbeiten.

BG: Das heißt, aktuell ist die Provinz und auch die Stadt Altınözü komplett unterversorgt, weil sie eben durch das einsturzgefährdete Krankenhaus eigentlich gar nicht mehr die Infrastruktur haben, gescheit zu behandeln?

KS: Genau. Genau in diese Lücke wird dann unser Rettungszentrum eingebracht. Von den Fähigkeiten her werden wir chirurgische Fähigkeiten haben in Form eines OPs mit anschließender Möglichkeit, intensivmedizinische Behandlungen durchzuführen, ein Pflegebereich und vor allen Dingen, was hier erforderlich ist, ist ein ambulanter Bereich, wo wir im Prinzip ambulante Patienten mit allgemeinen Infektionserkrankungen mit Hauterkrankungen und Kinder behandeln werden. Also, wir werden das Spektrum einer Grundversorgung hier abdecken müssen, fünf Wochen ungefähr nach dem Erdbeben und werden da ganz eng zusammenarbeiten mit dem Krankenhaus. Das ist die Idee und das Ziel, gemischte Teams zu haben. Wir haben zum Beispiel keine Pädiater dabei. Das heißt, das Krankenhaus hat schon angeboten, dass sie dann Kinderärzte zu uns rüberschicken. Und dafür werden wir Ärzte rüberschicken, auch ins Krankenhaus, sodass wir dann gemeinsam mit dem Krankenhaus die Versorgung hier sicherstellen wollen.

BG: Welche Fachärzte bringen wir dann aus Deutschland rein?

KS: Wir werden Chirurgen und Anästhesisten dabeihaben, um Operationen durchzuführen, und kleine Wunden versorgen. Wir werden Allgemeinmediziner und Infektiologen im Schwerpunkt haben, um den ambulanten Bereich sicherzustellen.

BG: Wie ist das mit der Psychotraumaversorgung? Wir haben ja hier eine Menge Menschen, die aus guten Gründen sehr traumatisiert sind von dem Erdbeben. Die haben ihre Angehörigen verloren. Die haben Dinge durchgemacht, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Können wir denen helfen?

KS: Das wird schwierig. Also wir haben keine Psychologen oder Psychiater bei uns im Team, wobei die psychologische Betreuung der lokalen Bevölkerung ja auch ganz viel mit Sprache zu tun hat. Und ich glaube, dass gerade in diesem Bereich das Dolmetschen, wo es vielleicht, wenn man eine Infektionserkrankung hat und einen Dolmetscher, dann hilft Vermitteln, glaube ich, bei psychologischer Betreuung einfach zu kurz greift. Da bräuchte man wirklich auch die Nuancen im Gespräch, die Details, das werden wir nicht leisten können.

BG: Verstehe, aber das Thema Sprache ist ja auch ein sehr interessantes. Sie haben ja jetzt schon in Ihrem Kontingent etliche zweisprachige Kameraden. Aktuell sind es alles Männer, die sehr gut Türkisch können, also türkische Wurzeln haben. Wie ist denn das nachher im Personal, das behandelt? Also gibt es da auch Ärztinnen, Ärzte, Pflegepersonal, das bilingual ist.

KS: Also wir haben aktuell drei dolmetschende Soldaten dabei und wir werden das später ausbauen müssen, wir werden auch hier lokal gucken, ob wir vielleicht Kräfte gewinnen können, weil die Sprache ist einfach der Schlüssel zu den Menschen und der Schlüssel dazu, dass wir helfen können. Das nimmt einen riesengroßen Stellenwert ein.

BG: Und der Apotheker ist auch zweisprachig, das weiß ich schon.

KS: Ja, wunderbar, und unser Verwaltungsbeamter, der für uns dann zum Beispiel Verträge schließt, ebenso.

BG: Wie ist die Zusammenarbeit hier vor Ort? Sie haben es schon angesprochen, Anschluss an die Wasserleitung, an die Kanalisation. Wie funktioniert das vor Ort? Wie sind Sie und Ihre Leute aufgenommen worden hier in der Stadt?

KS: Wir sind hervorragend aufgenommen worden. Es ist so eine Herzlichkeit, die Gesellschaft hier ist so familienfreundlich und offen und zuvorkommend. Wir sind wirklich mit offenen Armen aufgenommen worden, was ganz toll ist. Wir haben jegliche Unterstützung, sei es hier, dass die lokale Polizei 24 Stunden rund um die Uhr Polizisten abgestellt hat, um uns zu unterstützen. Der Bürgermeister unterstützt uns in jeglicher Hinsicht. Das Krankenhaus ist offen für die Zusammenarbeit. Und interessanterweise haben das türkische Gesundheitsministerium und das türkische Außenministerium Repräsentanten hier in der Provinz Hatay, die für uns jederzeit ansprechbar sind.

BG: Sie waren ja jetzt auch schon unterwegs, habe ich mir sagen lassen und haben sich die anderen Einrichtungen die jetzt abgezogen werden, ich glaube von den Spaniern oder Belgiern angeschaut. Ist das, was wir jetzt hier aufbauen, so ähnlich und was können Sie berichten über den Zulauf, der dort herrscht und die Vergleichbarkeit mit dem, was wir hier aufbauen?

KS: Wir haben in den letzten zwei, drei Tagen intensiv die Verbindung gesucht zu der spanischen Einrichtung hier in der Provinz und der Einrichtung einer amerikanischen Hilfsorganisation und haben dort in den Gesprächen auch schon wieder sehr viel gelernt. Zum Beispiel, dass wir vor der Behandlungseinrichtung von UMKE, also dem Roten Kreuz im Prinzip der medizinischen Hilfsorganisation, hier gelernt haben, dass es Sinn macht, dort schon einen ersten Registrationspunkt zu haben, der auch beim Antransport oder Abtransport der Patienten uns unterstützen kann. Es sind die Kleinigkeiten, auch das Patientenspektrum, was die anderen Behandlungseinrichtungen gesehen haben, war für uns hilfreich noch mal zu überlegen wie bauen wir auf und damit auch, dass wir den ambulanten Bereich verstärken, weil wir circa 80 Prozent der Patienten erwarten, die ambulant zu behandeln sind.

BG: Wie soll das überhaupt laufen? Die Leute kommen einfach her? Also in Deutschland braucht man ja für alles eine Versicherungskarte, müssen die sich ausweisen? Also wenn sie dann meinetwegen auch Medikamente benötigen, vielleicht starke Medikamente, die bei uns verschreibungspflichtig sind. Wie kann man das alles bürokratisch erfassen?

KS: Wir werden natürlich die Patienten registrieren. Üblicherweise bringen die ihren Personalausweis mit, sodass wir wirklich dann auch die personenbezogenen Daten erfassen, aber viel mehr für den Zweck, dass, wenn Sie sich wieder vorstellen, wir dann die Krankengeschichte auch dem Menschen zuordnen können, um zu sehen, hat jetzt die Therapie Erfolg, müssen wir nachsteuern. Das ist wichtig. Deswegen auch die Zusammenarbeit vorne schon am Eingang zur Behandlungseinrichtung mit der lokalen medizinischen Organisation. Und ja, die werden dann bei uns behandelt. Es werden alle behandelt, die zu uns kommen, egal ob jetzt lokale Bevölkerung aus der Türkei, egal, ob syrische Flüchtlinge, die hier sehr stark integriert sind, auch schon in der Region. Wir behandeln alle und wenn es dann eine Weiterbehandlung erfordert, dann würden wir dem Patienten einen Brief mitgeben für das nächsthöhere Krankenhaus, zum Beispiel in Hatay. Oder wir würden dann auch zusammen mit den türkischen Kollegen ein Rezept ausstellen und dann gehen die Menschen zur Apotheke, weil die Arzneimittelversorgung einigermaßen gut läuft und würden dort ihre Medikamente bekommen.

BG: Ah okay, das heißt, sie gehen dann zu einer lokalen Apotheke, das funktioniert schon wieder?

KS: Wir haben auch natürlich Medikamente mit dabei, aber würden dann auch auf lokale Produkte verweisen, weil die bei den Patienten hier in der Region auch eine hohe Akzeptanz finden.

BG: Wann genau planen Sie den ersten Patienten behandeln zu können und was macht den Zeitpunkt jetzt aus? Warum sind wir genau jetzt hier?

KS: In Abhängigkeit von dem Personal und dem Material, was jetzt reinkommt und den Aufbauzeiten hoffen wir so in der letzten Woche des März dann die Behandlungseinrichtung wirklich, wir nennen es „full operational“, zu haben, also wirklich einsatzbereit zu haben, um mit der Behandlung zu starten. Wir werden dann Sprechzeiten haben, so ungefähr von 9:00 morgens bis 9:00 abends, weil auch wir brauchen unsere Nachtruhe um durchhaltefähig zu sein. Wir planen für zwei Monate hier im Einsatz die Behandlungseinrichtung dann zu betreiben, um danach wieder zurückzuverlegen nach Deutschland. Die Phase in der wir jetzt sind, ist eine ganz interessante. Nach dem Erdbeben sind am Anfang ja erst mal Rettungskräfte, suchende Teams gefordert gewesen, um möglichst noch lebende Menschen zu bergen. Daran hat sich angeschlossen eine Phase, die so langsam zu Ende geht, nämlich die der ersten Behandlungseinrichtungen. Das heißt, wir sehen jetzt in der Phase, dass andere Nationen nach ungefähr vier Wochen ihre Behandlungseinrichtung wieder abziehen und damit die allgemeine Bevölkerung in der Erdbebenregion fast schon wieder in eine Unterversorgung hineinkommt. Und genau in diese Phase kommen wir jetzt mit unserer Behandlungseinrichtung und das in der Region Altınözü , also in einer, in der ohnehin bisher keine internationale Hilfe vor Ort gewesen ist.

BG: Also eine Lücke, die wirklich geschlossen werden muss. Dann ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und ganz viel Erfolg für die nächsten Wochen und Monate.

KS: Ich danke Ihnen.

BG: Danke. Das war der Funkkreis für heute aus dem Erdbebengebiet in der Südosttürkei und ich wünsche Ihnen eine ruhige Woche. Machen Sie es gut. Tschüss.