Transkription Funkkreis – Podcast der Bundeswehr #76

Transkription Funkkreis – Podcast der Bundeswehr #76

Lesedauer:
25 MIN

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Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

A: Barbara Gantenbein

B: Hauptfeldwebel Arnie

A: Herzlich Willkommen zu diesem Podcast. Heute geht es um fast 20 Jahre Afghanistan. Ich sitze hier im Camp Marmal in Masar-i Scharif und mir gegenüber sitzt ein Kompanietruppführer der Force Protection, der Hauptfeldwebel Arnie. Arnie ist ein ganz einsatzerfahrener Kamerad. Arnie, wann war Ihr erster Einsatz?

B: Dann erstmal Hallo auch von meiner Seite und danke, dass wir das durchführen können heute.

A: Ja, danke von mir aus.

B: Ja, wo ich das gerade höre, das Thema 20 Jahre Afghanistan: Das ist so ein bisschen auch berührend, weil ich jetzt tatsächlich so das Gefühl habe, dass ich auch schon so ein bisschen betagter bin. Ich bin jetzt 38 Jahre alt. Das erste Mal Afghanistan war im Jahr 2007 bei mir.

A: Das ist eine lange Zeit. Und in welchem Einsatzgebiet waren Sie damals?

B: Also 2007, da war eigentlich geplant Schutzkompanie, so hieß das damals. Auch hier in Masar-i Scharif. Das war dann auch schon so geplant, mit Patrouillen rauszufahren, dann die Bewegung im Raum. Da gab es dann die Abfrage vor Ort: Wir benötigen zwei Soldaten, die im Camp Schaheen so eine Art Advisortätigkeiten übernehmen, was jetzt gang und gäbe hier ist. Das war damals noch in den Kinderschuhen und das sollte dann aufgebaut werden. Dafür wurden Freiwillige gesucht und dann haben wir uns dazu gemeldet. Dann ging es nach Camp Schaheen.

A: Ja, das ist spannend. Und sind Sie damals auch schon mit dem Helikopter immer rübergeflogen oder konnte man da noch mit dem Auto fahren?

B: Ja, tatsächlich ist das was ganz anderes: Wo wir hier ankamen im Jahr 2007, da war es so die Oktober/Novemberzeit. Da war noch keine Regenzeit angebrochen. Und die Fahrzeuge, die wir da zur Verfügung hatten, waren ganz normale Wölfe aus dem Regeldienstbetrieb, die man noch so kennt aus der Zeit: ungepanzert, noch in Grün lackiert. Und wir sind dann tatsächlich mit diesen Wölfen, die aus dem ganzen Lager so zusammengestellt worden sind, um sie uns zur Verfügung zu stellen, weil wir von null auf aufgestellt wurden, mit diesen ungepanzerten Fahrzeugen ins Camp Schaheen gefahren, über Dörfer, die ich mein Lebtag ja noch nicht gesehen hatte. Für mich war das ganz faszinierend. Ich hatte auch noch überhaupt keine Bedrohungsängste, die hier im Umkreis waren. Ich habe das einfach wahrgenommen für mich: Ich war jung, ich war abenteuerlustig und habe das dann so mitgenommen mit abenteuerlichen Blicken, die Gegend genossen und auch die Bevölkerung, die uns da sehr positiv gesonnen war. Auch damals schon und das hat mich ziemlich geprägt.

A: Ja, das glaube ich. Konnten Sie damals auch, wo immer Sie wollten, mal anhalten? Was weiß ich, irgendwie eine Kleinigkeit zu essen einkaufen oder Ähnliches. Mit den Leuten direkt auch mal reden, wenn man halt einen Sprachmittler dabei hatte oder so. Ging das dann alles noch?

B: Also mit dem Essen gab es tatsächlich damals schon die Vorschrift, dass wir nirgendwo anhalten dürfen, um uns was zu essen zu holen: Das war tatsächlich dann verboten. Aber was halt war, wir waren so ein bisschen frei im Handeln: Es gab noch nicht die Anweisung, ihr dürft die und die Straße nicht nutzen. Wir waren da wirklich frei in der Bewegung und sind dann auch so nach Kartenstudium dann in gewisse Bergregionen gefahren. Einfach mal so schauen. Wir hatten damals tatsächlich keinen Sprachmittler dabei. Das ging alles mit Händen und Füßen, aber das war abenteuerlich, aber es hat funktioniert und die Leute waren herzlich. Die haben uns eingeladen, es gab Tee, es gab Nüsse. Das ist so als junger Mensch schon prägend. Also ich sage immer, mein erster Einsatz, in dem bin ich halt erwachsen geworden. Das sage ich so zur mir selbst. Es gibt natürlich auch Bilder, die sind nicht so schön, jetzt gerade im Hinblick auf: Wie leben die Leute hier, was haben sie, gerade früher, da wars da noch ein bisschen anders. Das nimmt man mit nach Deutschland, in unser Industrieland, wo wir halt alles haben und es uns gut geht und dann denkt man halt darüber nach und wird dadurch halt auch gereifter.

A: Auf jeden Fall. Das glaube ich auch. Ich denke aber, das ist natürlich ein toller Einsatz gewesen, wenn man wirklich mit den Leuten in Kontakt kommt und nicht dieses Feindbild, was ja heute so bisschen vorherrscht bei vielen, hat, sondern weiß, es lohnt sich. Ja, man tut wirklich was dann für die Leute, damit es denen dann eben besser geht. Was waren so die prägenden Erlebnisse mit den Menschen? Also Sie haben ja eben so schön erzählt, Tee und Nüsse und das die halt die Tür aufgemacht haben und Sie eingeladen haben. Was war so das, was Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben ist?

B: Also im Gedächtnis geblieben sind mir halt die Kinder, die immer als Erstes an die Fahrzeuge gekommen sind zu uns. Wir konnten sie ja nicht verstehen, aber wir haben die Gestik verstanden. Wir haben dann denen Wasser gegeben, wir hatten allerhand so Schlüsselanhänger, alles, was bunt war und geleuchtet hat. Oder wenn es auch nur Stifte waren, mit bunten Kappen. Die haben wir dann abgegeben. Und das war schon immer schön zu sehen, dass die sich da dann auch so gefreut haben. Und ja, die Erwachsenen waren manchmal so ein bisschen erst einmal mit Vorsicht, aber dennoch: Es war alles gut und hat harmonisch funktioniert. Das war halt, wie gesagt, für die Lebenserfahrung schön und es ist mal toll, über den Tellerrand zu blicken und so ein fernöstliches Land auch kennenzulernen, weil ich da auch die Schönheit des Landes das erste Mal kennengelernt habe und es ist ja tatsächlich landschaftlich wirklich sehr schön. Die Berge.

A: Unglaubliche Landschaft, ja das denke ich auch. Ja, wir sind die Tage jetzt ein bisschen drüber geflogen: Es ist wirklich faszinierend. Das finde ich auch. Immer wieder ganz, ganz großartig. Wie war dann das Feedback zu Hause, bei Ihrem ersten Afghanistaneinsatz? Hatten Ihre Freunde, Ihre Familie, Eltern Angst um Sie oder war das damals noch ein bisschen entspannter? Wir war das so zu Hause?

B: Also es war tatsächlich noch die große Unbekannte, die geherrscht hat. Es gab natürlich in den Medien auch schön Gerüchte oder beziehungsweise Vorboten von Anschlägen hier im Land, und das es hier natürlich ein Kriegsgebiet ist. Aber das hat uns hier oben im Norden zu dem Zeitpunkt überhaupt noch gar nicht getroffen. Wie gesagt, da waren die  Zeiten noch mit ungeschützten Fahrzeugen und das ging ja dann erst langsam los. Also tatsächlich war da dann die Seite von der Familie aus noch nicht ganz so besorgt. Natürlich, das, was man in den Nachrichten gehört hat. Die Mutti war traurig, die hat sich halt dann auch dementsprechend emotional verabschiedet, aber für mich war es halt das große Abenteuer, in das ich gestartet bin und als junger Mann war das halt damals auch schön. Ich habe aber die Verbindung immer nach Hause gehalten, damals war es ja noch nicht so einfach wie jetzt. Wir hatten zwar die Möglichkeit, mit Satellitentelefon schon zu telefonieren, aber wirklich ganz, ganz kurz und knapp. Es gab auch schon die Möglichkeit mit normalem Telefon, aber es war halt auch begrenzt und tatsächlich musste man dafür Geld bezahlen. Das Internet kam ja dann erst so richtig auf. Es gab zwar diese Plattform wie StudieVZ, als Beispiel, und die E-Mails gab es ja schon. Und dann hatten wir tatsächlich in dem Lager, wo wir ja jetzt wirklich erst von Grund auf aufgebaut haben, nur einen Rechner mit begrenztem Internetzugang. Also wirklich ganz langsam und dann durfte jeder am Tag eine halbe Stunde ran. Dann konnte man seine E-Mails schecken und mal so ein bisschen, wenn es dann funktioniert hat, bei StudiVZ mal reinschauen. Das war die einzige Verbindung nach Hause. Ansonsten halt Briefe schreiben, das hat man ja vorher auch nicht so gemacht.

A: Stimmt, Feldpost hat dann plötzlich wieder einen ganz anderen, verbindenden Charakter, das stimmt.

B: Auch so, man hat sich ja als Jugendlicher ja nie Briefe geschrieben oder sich dafür interessiert. Aber dann in dem Einsatz, wie gesagt, dann wurden Briefe geschrieben und das war auch schön, wenn die Post von Zuhause kam. Das war dann auch zeitgleich mein erstes Weihnachten, an dem ich weg war.

A: Ach, tatsächlich.

B: Ja. Und das war dann doch schon schwierig. Also für mich war dann wirklich in dem gesamten Einsatz wirklich Weihnachten so das Schwierigste, wo man dann wirklich…man hat zwar dann seine Kameraden gehabt. Wir waren in einem kleinen Kreis. Wir waren nur neun Deutsche und hatten dann international noch Kräfte. Insgesamt waren wir, ich glaube, also wir waren keine zwanzig. So im engeren Kreis. Und dann war es damals ja noch das amerikanische Lager und ich fand das so faszinierend: Die haben uns dann immer kameradschaftlich mitgenommen. Wir konnten dort fliegen. Weihnachten haben die uns halt eingeladen, kurzfristig. Die haben gesagt: Nein, ihr braucht nicht unter euch da bleiben, ihr könnt zu uns kommen. Und da war ich so zu Tränen gerührt, weil da habe ich das erste Mal so, man kennt es ja vom Hörensagen, die amerikanischen Schulkinder, die schreiben ja Postkarten für die Soldaten, und das fand ich so faszinierend. Die waren zwar nicht benannt mit Namen, aber sie waren halt als Synonym für alle: Wir danken euch für euren Dienst und das tat wirklich gut.

A: Toll, toll.

B: Also das war schön und so etwas mal als Erfahrung mitzunehmen, dafür bin ich auch dankbar.

A: Ja, das glaube ich. Ja, generell ist ja der Umgang ja ganz anders in Amerika. Es wird ja viel mehr geschätzt als bei uns, das ist ja leider so ein Riesenproblem. Gab es damals eigentlich auch schon Weihnachtsbäume oder war das noch gar nicht?

B: Also wir haben tatsächlich 2007 keine eigenen Weihnachtsbäume gehabt. Wir hatten aber einen sehr guten Versorger, weil wir waren ja in diesem Außenlager, und der ist alle zwei Tage hier nach Camp Marmal getingelt mit seinem Zweitonner, übrigens auch ungepanzert, und hat dann so allerhand besorgt für uns. Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat, aber dann gab es mal einen Beamer für uns mittenbei, dass wir uns ein paar Filme angucken konnten und unter anderem hat er dann auch so ein bisschen Tannengrün besorgt. Wir wissen bis heute nicht, woher. Aber es war..dann konnten wir uns so kleine weihnachtlichen Gestecke basteln. Weihnachtsbaum hatten wir nicht, aber wir haben es uns so schön wie möglich gemacht. Wir hatten so ein bisschen Lametta von Zuhause aus den Heimpaketen, schon ganz schön. Aber die Amerikaner hatten es. Die haben es ganz groß aufgefahren.

A:Ja toll. Das ist natürlich auch super, wenn man dann zusammen feiern kann. Ich denke, das ist generell in so einem Einsatz auch wichtig, der Austausch mit den anderen Nationen. Also das ist ja schon…Wie haben Sie das denn so erlebt, in der Entwicklung? Ist das mehr oder weniger geworden, über die Jahre, der Austausch? Ist der enger geworden? Haben sich die Nationen geändert, mit denen man jetzt viel zu tun hat, oder wenig zu tun hat? Und welche Nationen sind jetzt so wichtig für uns hier?

B: Also damals tatsächlich waren es für mich die ersten Berührungspunkte mit den Amerikanern, weil wir sie ja in Gänze und in Masse verantwortlich hatten..und das waren so die ersten Berührungspunkte, die ich überhaupt mit dieser Nation hatte und das war auch durchweg positiv. Die haben auch zwei, drei andere Regeln als wir. Also wir haben ja immer schon die Zwei-Bierdosen-Regelung, die haben ja dann tatsächlich, die dürfen gar keinen Alkohol trinken, aber das war immer freundschaftlich und super und man hat dann auch das gelernte Englisch in der Schule, was man dann wirklich gut anwenden konnte. Das wurde auch besser und besser. Was halt nicht über die Worte und Sprache funktioniert hat, hat halt so mit Mimik und Gestik und freundschaftlich funktioniert. Ja, und heute hier im Lager, also im Camp Marmal zur heutigen Zeit, sind ja auch paar Amerikaner, aber die sind ja nebenan. Und dadurch, auch coronabedingt, schotten die sich auch ein bisschen ab. Wir haben jetzt auf der Schießbahn mit denen zusammengearbeitet. Wir haben angeboten, die Schützenschnur zu schießen und da war dann wieder das erste Mal, wo man wirklich kameradschaftlich auch zusammengearbeitet hat. Die waren sehr dankbar, weil die benötigen das halt auch, um ihre Qualifikation weiter zu pflegen und dadurch auch schneller oder besser befördert zu werden. Die nehmen das halt auch mit Dankbarkeit an. Ansonsten hier im Lager hat man viel zu tun mit den Schweden. Was ich so ein bisschen vermisse, ist hier..2012, kommen wir bestimmt gleich noch einmal zu, da war ich ja auch hier. Da gab es noch ein bisschen mehr Polen.

A: Niederländer glaube ich auch?

B: Niederländer auch, ja. Niederländer haben wir hier übrigens auch im Gebäude, wo wir gerade den Podcast aufzeichnen. Die sind hier mit drin international. Mit denen ist es auch immer sehr lustig. Also die sprechen ja auch, warum auch immer, die sprechen ja auch immer gut Deutsch.

A: Ja, das stimmt. Das ist mir auch schon aufgefallen. Also ganz häufig.

B:  Aber wir sprechen dennoch eher zusammen Englisch. Manchmal kommen auch witzige Situationen zustande. Dann ist das so ein Mix aus Deutsch und Englisch. Das ist dann schon sehr witzig.

A: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Sie haben eben schon das Stichwort gegeben: 2012. War das dann Ihr nächster Einsatz oder waren Sie zwischen diesen beiden Daten dann noch einmal hier?

B: Nein, also tatsächlich 2009 wäre die Chance gewesen, noch einmal zu gehen, aber da war meine damalige Freundin gerade schwanger und dann habe ich mich dazu entschieden, für die Familie da zu sein und habe dann quasi ausgesetzt. Und dann war die nächste Staffel oder Etappe, war dann 2012. Und da ging es dann tatsächlich auch in meinen längsten Auslandseinsatz, den ich bis dato hatte. Und der ist im Juni gestartet als Schutzkompanie nach Kundus. Das war dann hier in Masar-i Scharif nur die ganz kurze Zwischenreise. Kurz ankommen, ausschütteln, Ausrüstung umpacken und dann ging es für komplett die gesamte Zeit nach Kundus in das damalige Camp, was da noch richtig fest betrieben wurde.

A: Und wie haben Sie das erlebt?

B: Das war eine ganz andere Erfahrung, weil ich ja mit meinen Gedanken und Erfahrungen, die ich gesammelt habe von dem Voreinsatz, hergekommen bin. Und es gab in der Zeit ja den gesamten Wandel hier in der Region, wo auch jetzt die Sicherheitslage drastisch nach oben gegangen ist und das musste ich tatsächlich erst einmal für mich verarbeiten. Denn mit jedem Mal, wo wir das Lager verlassen haben, hatte ich immer noch im Kopf dieses freundliche Zusammenleben und dicht an der Bevölkerung zu sein. Und das war ja dann gar nicht mehr. Man hat gemerkt, man hat ein bisschen Distanz gewonnen, man hat nicht mehr diese Nähe gesucht, sondern halt bewusst versucht zu vermeiden aufgrund gewisser Vorfälle. Und das musste ich halt erst einmal verarbeiten, weil es eine ganz andere Situation war. Da hat man, also ich, dadurch, dass ich ja kannte, wie die Leute vorher waren, bin ich ein bisschen mit einer anderen Haltung rangegangen. Ich habe die Leute distanziert betrachtet: Ich habe zum einem die ganz normale Bevölkerung gesehen, die sich auf den Straßen und auf den Feldern bewegt hat, die Kinder, die ganz normal gespielt haben. Die konnte ich weiterhin so sehen und habe auch gesehen, dass die zu dem Zeitpunkt auch schon ein bisschen Hilfe bekommen haben. Das heißt, man hat  gesehen, die Häuser haben sich verändert. Es war vom Blickwinkel auch...da waren Häuser...früher waren keine Scheiben drin, da waren jetzt zum Beispiel Scheiben drin, oder die Straßen, die früher nicht gepflastert waren, waren betoniert. Also man hat schon gesehen, dass es sich so ein bisschen zum Guten gewandelt hat und die Leute auch trotzdem immer noch manchmal gewunken haben, also es gab welche dabei, die haben dann halt Steine geworfen. Es waren aber auch welche dabei, die haben gewunken und sich gefreut. Es war halt dieses Gemischte. Und es gab aber auch wirklich Begegnungen, die waren nicht so schön, da wurde man dann tatsächlich vor vollendete Tatsachen gestellt, dass man nicht willkommen ist. In dem Bezirk oder Distrikt, wo man dann jetzt wirklich unterwegs war. Und man hat gemerkt, Kundus ist wirklich eine komplett andere Region, wo man halt nicht so willkommen ist.

A: War wohl auch ein bisschen Kulturschock dann also auch im Kopf dann umzustellen und zu sagen: „Okay, es ist jetzt alles anders.“ Wahrscheinlich dann auch alles nur noch mit gepanzerten Fahrzeugen und wesentlich mehr Sicherheitsvorkehrungen und so weiter oder?

B: Das war tatsächlich der Switch von ganz light 2007 und gepanzerter Wolf auf den Schützenpanzer Marder vollgepanzert in der höchsten Version in der 185-Klassifizierung und da musste man dann vom Kopf her natürlich auch umschalten. Da war die Bedrohungslage da, die musste man akzeptieren, damit musste man arbeiten und da musste man auch funktionieren. Und unter anderem gab es da auch einen schweren Anschlag auf unsere eigene Truppe. Das fand im Oktober 2010 statt und ab dem Zeitpunkt, da spätestens dann, habe ich auch anders, war mittendrin und habe über das gesamte Geschehen nachgedacht, was hier eigentlich los ist.

A: Ja natürlich. Haben Sie selbst so etwas erlebt in einem Ihrer Einsätze, also einen Anschlag oder einen Angriff oder ein Gefecht?

B: Also, ich kann das ganz offen erzählen, weil ich das auch verarbeitet habe, auch in der Zusammenarbeit mit unserer psychologischen Truppenhilfe und dafür ist sie auch da und es hat auch geholfen und auch das nehme ich einfach als Erfahrung mit fürs Leben. Wir waren in einem afghanischen Außencamp. Also wir hatten ja zum einen das Camp, ähnlich wie jetzt hier in Masar, ein ganz normales Truppenlager, wo ganz normal Feldbetrieb drin war und von dort aus wurden Patrouillen gefahren. Und dann gab es aber auch noch einmal einen kleinen Außenbereich, einen kleinen safe haven in einem Bezirk mit kleiner Wüste mit kleinen angesiedelten Vororten von Kundus, nenne ich das mal. Das war auch schon die Linie zu den damaligen Taliban, die vereinbart war als Waffenstillstandslinie, nenne ich jetzt mal, und da gab es gewisse Bereiche, das war abgesprochen, dass wir sie nicht betreten und befahren. Und so sind wir dann in unseren Bereichen, die uns zu Verfügung standen, Patrouille gefahren. Wir hatten zum einen die Schützenpanzer Marder und wir hatten aber auch die Dingos und wir konnten dann immer wechseln. Entweder sind wir Radpatrouillen gefahren oder sind auf Kette gefahren. Ich persönlich, weil ich ja die Bevölkerung schon ein bisschen kannte, wollte natürlich immer deeskalieren und habe die Radvariante gewählt, aber das hat ja damals der Zugführer beziehungsweise der Kompaniechef entschieden und irgendwann kam der Befehl vom General in Masar-i Scharif, dass wir gewisse Linien ab sofort übertreten sollen.

A: Ach so, okay.

B: … das wurde dann befohlen und dann haben wir auch mit den Amerikanern zusammengearbeitet. Die hatten sogenannte Patrouillen- Fahrzeuge, die nannten sich RCP, road clearance package. Das waren so Räumfahrzeuge, die auf den Straßen fahren, um dann gegebenenfalls IEDs und versteckte Ladung auszulösen. Die sind dann tatsächlich alle zwei bis drei Tage an unserem Außencamp vorbeigefahren und haben dann nur kurz bei uns haltgemacht. Haben dann noch mal Verpflegung zu sich genommen, aufgetankt, noch einmal kurz Refresh gemacht und sind dann in die umliegenden Bereiche gestartet. Da hat man tatsächlich öfter mal bei den Rückkehrern Ausfälle und Verwundete gehabt. Das war das erste Mal, wo man dann mit eigenen, also mit Koalitionstruppen, zu tun hatte und die waren dann bei uns. Wir hatten mit BATs (beweglicher Arzttrupp) und Medical Station so eine kleine Rettungsstation bei uns vor Ort, da wurden die dann auch behandelt. Und bis dato war, toi, toi, toi, auch noch nichts Großartiges passiert. Aber an dem besagten Tage dann im Oktober, da ging es dann für uns auch auf Patrouille mit schon einem mulmigen Gefühl, also, wie man das wirklich so hat..  

A: So eine Art Vorahnung vielleicht ein bisschen?

B: Ja genau. Da war auch die gesamte Kompanie bei uns unterwegs, also zwei Züge auf Schützenpanzern mit noch paar kleinen KfzKraftfahrzeug und ja, wir sollten halt eine Gitternetzlinie überqueren und dort halt die Gangbarkeit der Wege prüfen. Das Dorf nannte sich Lamabat und da sind wir reingekommen und entgegen allen Erfahrungen, die man gemacht hat, war denn tatsächlich, wie man es auch so aus den Erzählungen kennt, das Dorf war leer. Es waren keine Kinder auf der Straße. Es hat keine Bewegung stattgefunden, keine Fahrzeuge. Und stattdessen waren aber vereinzelt auf den Dächern junge Leute unterwegs und mit Telefon und das war halt schon auch so ein Indikator, das haben wir weitergemeldet. Weiter ist dann auch nichts passiert. Vor uns waren die Amerikaner, das war so eine gemischte Patrouille auf dem Fahrzeug. Das letzte Fahrzeug von den Amerikanern, was direkt vor mir gefahren ist, da war unser damaliger KTF (Kompanietruppführer) drauf als Verbindungsoffizier, und dem bin ich auch blind gefolgt. Also ich war quasi von dem deutschen Anteil das erste Fahrzeug. Wir sind dann durch diese Ortschaft gefahren und haben dann mit Blick um die Kurve die Sicht verloren zu den Amerikanern und hatten einen kurzen Ordnungshalt, weil es eine ganz lange durchzogene Straße war. Und dann hat ein IEDImprovised Explosive Device ausgelöst. Das Fahrzeug vor mir direkt ist explodiert, detoniert, in zwei Teile gesprungen. Und Gott sei Dank, toi, toi, toi, niemand gefallen, wir hatten wirklich nur Ausfälle mit []UNVERSTÄNDLICH] Bravo und [UNVERSTÄNDLICH] Charlie und dann war ein kurzer Moment, wo man sich geschüttelt hat, dann kam aber wirklich die Ausbildung zum Tragen. Man hat einfach funktioniert. Die Kräfte sind nach vorne, haben die Verwundeten geborgen, haben den Bereich gecleart, haben gleich die Sicherheit gewährleistet haben, die Heli-Landing-Site erkundet. Das ging auch alles Hand in Hand und ziemlich schnell und dann hat man für sich schon im Kopf gesagt: Okay, hier ist jetzt Abbruch, die zeigen uns, bis hierhin und nicht weiter,. Die wollen uns nicht. Und dann war das auch so für den Kopf eigentlich auch schon abgeschlossen. Haben wir gedacht. Fahrzeug wurde dann zum Bergen vorbereitet hat, hat aber noch gebrannt. Also man kam nicht ran und dann hatten wir ja noch den EODExplosive Ordnance Disposal mit dabei. Also damals hat man bei uns das Rundum-Sorglos-Paket mit dabeigehabt und der EODExplosive Ordnance Disposal kam und hat dann irgendwann gesagt, wir müssen von dem Fahrzeug weg, da ist noch Munition drauf. Dann haben wir noch mal den Ring vergrößert um das Fahrzeug herum und dann ist es tatsächlich detoniert. Ja, auch so eine Erfahrung. Das ist ja, als wenn so eine Popcornmaschine explodiert, wo es dann links und her und ploppt, aber man weiß ja, es ist das eigene und man ist jetzt geschützt in dem Moment, aber dann gabs halt noch Small Arms Fire. Also die haben wirklich gewartet, bis wir die Phasen fertig haben und das war dann vorbereitet, der Hinterhalt, den die so gemacht haben und dann gabs halt Small Arms Fire. Wir haben mit den Fahrzeugen reagiert,  haben uns taktisch verhalten, versucht zu antworten darauf, haben den Feuerkampf erwidert, haben sogar noch Mörserbeschuss bekommen und haben dann auf Luftunterstützung gewartet. So lange haben wir uns dort noch verteidigt.  Das war ja der Unterschied zu dem jetzigen RS-Einsatz. Damals ISAFInternational Security Assistance Force, da hat man halt auch noch reagiert und ist mit Angriff gefahren oder Gegenangriff und dann hatten wir tatsächlich Luftunterstützung und konnten dann die Situation auch klären. Dann war das auch Gott sei Dank geschafft, also zwölf Stunden Gefecht im Nachhinein. Nach dem Abend fiel dann alle Last runter und dann war es auch ziemlich anstrengend. Ab dem Punkt hat man nur noch gesagt, jetzt ist man angekommen. Jetzt weiß man, wo man ist und ja, das war schon ein belastendes Ereignis.

A: Das kann ich mir vorstellen und wahrscheinlich dann noch mal ganz anders prägend als der positive erste Einsatz und sehr viel tiefergehend wahrscheinlich, oder?

B.:  Das hat noch mal komplett alles zum Überlegen gebracht, was mache ich hier, was machen wir hier, wofür sind wir jetzt hier? Ich dachte, wir helfen im Laden, die wollen sich helfen lassen, aber man muss halt immer dissoziieren, zum einen steht die Bevölkerung auf der anderen Seite, die…

A.: Die Taliban, die andere Ziele verfolgen.

B.: Genau, das muss man versuchen zu trennen. Wenn man das kann, dann funktioniert es auch tatsächlich gut. Also, ich war aber keinem, den ich jetzt gesehen habe, dann böse oder bösen Willens. Ich habe sie weiter als Bevölkerung so wahrgenommen. Dann war noch mal ein Vorfall drei Wochen später, auch in derselben Ortschaft, da wo von uns ein Dingo umgekippt war und wenn man mit dem Gedankengang, was halt davor noch war, dann ist die Nacht angebrochen und dann gab es ein paar Abstimmungsschwierigkeiten. Dann haben die Amerikaner in dem Straßenzug nebenan ein IEDImprovised Explosive Device gesprengt, was keiner wusste, und natürlich gabs auch Momente, wo man nicht weiß, was jetzt schon wieder passiert. Aber trotz alledem habe ich auch diesen Einsatz positiv mit nach Hause genommen. Ich habe natürlich die erste Zeit nicht alles erzählt. Musste das erst einmal für mich selbst verarbeiten, was ich dort erlebt habe. Was natürlich einer Mutter nicht verborgen bleibt.

A.: Klar, so sind wir Mütter. Wir merken sowas.

B.: Genau, genau. Was das betrifft, kam das dann in der Familie das erste Mal so zum Tragen und zum Aussprechen. Ich habe später dann noch mit professioneller Hilfe alles super verarbeitet und man nimmt es als Lebensereignis und Erfahrung mit.

A.:  Aber ich finde das auch gut, dass Sie sagen, Sie haben sich dann auch diese professionelle Hilfe genommen. Weil dafür ist sie da, dafür wird sie angeboten. Und es ist ja sehr viel schlauer zu sagen, ich brauche das jetzt. Und ja man merkt es Ihnen auch an, dass Sie wirklich damit im Reinen sind. Und das finde ich, ist ein ganz ganz positives Beispiel und auch die Tatsache, dass Sie jetzt wieder hier sind, sagt ja auch, das ist für Sie okay.
Dieser ganze Krach im Hintergrund, das sind jetzt die Kameraden, die jetzt gerade reinkommen.

B: Das sind die Truppen der multinationalen Einheiten. Das sind die Holländer jetzt gerade. Ich weiß gar nicht, so um die Uhrzeit. Wir haben es jetzt ja gleich19 Uhr. Ich wusste gar nicht, das war mir gar nicht bekannt.

A.: Der wievielte Einsatz ist jetzt dieser?

B.:  Das ist jetzt der vierte Einsatz, ich hätte jetzt fast 2018 noch vergessen. 2018 ging es dann auch wieder hier nach Masar-i Scharif. Das war dann wieder komplett was anderes, weil dann ja schon die Mission geendet ist, von ISAFInternational Security Assistance Force in RS, Resolut Support, und das ist ja einfach nur die Unterstützungsmission für unsere Ausbilder, die beratend zur Seite stehen. Das ist halt der grundlegende Änderungsatz, den wir jetzt hier haben. Also wir mischen uns nicht mehr in deren Politik oder Doktrin von deren Streitkräften ein. Wir beraten einfach nur, sagen, das könnt ihr vielleicht besser, das anders machen. Und alles andere ist halt außen vor und wir sind jetzt tatsächlich nur als jetzt Schutz für die Advisors da. Also die Advisors gehen zu ihren Counterparts in den Bereichen und beraten diese und wir sind halt da. Als Guardian Angels unterstützen wir diese dann halt. Wir sind in der Sicherung, in der Gebäudesicherung. Das ist nichts anderes wie ein Security-Dienst sonst in Deutschland. Damit muss man dann auch wieder, wenn man die Zeiten aus ISAFInternational Security Assistance Force kennt, das muss man dann auch wieder erstmal realisieren. Das ist es nämlich auch wieder was ganz anderes.

A.: Man kann auch nicht mehr raus, hat eigentlich gar keinen Kontakt mehr und ist ja doch immer in seiner militärischen Umgebung gebunden. Das ist schon ein bisschen ein Verlust. Man kriegt nicht mehr soviel mit wie zuvor. Vielleicht eine letzte Frage an Sie. Wenn Sie jetzt zurückschauen auf die Entwicklung im Land, ganz für Sie persönlich: Hat es sich gelohnt? Ist es heute besser?

B.: Also gerade mit der Tour, die wir jetzt vor einigen Tagen hatten mit dem Kompaniechef, die ich begleitet habe, muss ich für mich selber feststellen, es hat sich gelohnt. Das Land hat eine Riesensprung gemacht, auch wenn man es nicht wahrhaben will. Natürlich, die ländlichen Regionen sind außen vor, aber das haben wir ja bei uns in Europa ja überall in jedem Land, aber hier kann ich jetzt für Masar-i Scharif sprechen, da hat sich einiges getan. Die Infrastruktur hat sich verbessert. Die Häuser haben sich verbessert, es gibt viele Ladenzeilen, Shops. Es gibt bunte Lichter nachts, wenn man hier durch die Straßen fährt. Es gibt überall Obstmärkte. Die Leute sind auch wieder offen und zutraulich. Der Verkehr hat sich gebessert. Wir gehören mit den Patrouillen zum Stadtbild, uns wird Platz gemacht. Es gibt mal die eine oder andere Mutprobe von Kindern, die dann Steine schmeißen, aber im Großen und Ganzen ist das hier so eine Art Greenzone, wo man sich tatsächlich, man muss zwar immer aufpassen und mit einem gewissen Respekt hier reingehen und sich bewegen, aber für mich, aus meiner Erfahrung, fühle ich mich hier sicher.

A.: Wunderbar und ganz herzlichen Dank für diesen Einblick, das war unheimlich spannend für mich und toi ,toi, toi für den Rest des Einsatzes und ja, vielen Dank.

B.: Ja, ich bedanke mich. Schön, dass es geklappt hat.  Das war auch einmal eine tolle Erfahrung für mich, die Erfahrung weiterzugeben.

A.: Ja, und jetzt lassen wir die Niederländer rein.

B.: Genau.

A.: Ich melde mich ab aus dem Funkkreis. Tschüs.

von Amina Vieth