Transkription Funkkreis: Lagezentrum Ukraine
Transkription Funkkreis: Lagezentrum Ukraine
- Datum:
- Lesedauer:
- 17 MIN
Sprecher: Frau Hauptmann Janet Watson (JW) und Oberstleutnant Robert Pröse (RP)
Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr
Frau Hauptmann Janet Watson (JW): Der Krieg in der Ukraine tobt mittlerweile seit ungefähr sechs Monaten und noch ist kein Ende in Sicht. Die Bilder im Fernsehen zeichnen ein Bild des Schreckens, wie die Menschen Europas es zuletzt im Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Die Ukrainer möchten ihre Souveränität aufrechterhalten und Europa hat sich dazu entschlossen, den ukrainischen Staat dabei zu unterstützen. Deutschland und andere Nationen helfen unter anderem mit Waffenlieferungen. Und wie so eine schwere Waffe in die Ukraine kommt und die ukrainischen Soldaten daran ausgebildet werden, ist gar kein so einfacher Prozess. Da kommen viele Fragen und Herausforderungen auf. Mit einigen davon beschäftigt sich das Lagezentrum Ukraine im Verteidigungsministerium. Und dort arbeitet Oberstleutnant Robert Pröse. Mit dem dürfen wir heute über die Aufgaben des Lagezentrums reden. Ich bin Hauptmann Janet Watson und ich darf Sie begrüßen, Herr Oberstleutnant. Schön, dass Sie da sind.
Oberstleutnant Robert Pröse (RP): Guten Tag, Frau Hauptmann.
JW: Wenn ich an ein Lagezentrum denke, dann denke ich vor allem an Karten an den Wänden und Telefone, die ständig klingeln. Und auf den Rechnern kommen superwichtige Informationen zusammen. Ein Ort, an dem Großes passiert. Fast wie ein Gefechtsstand. Also eine Befehlszentrale, an dem in laufenden Operationen die militärischen Entscheidungen getroffen werden.
RP: Und das trifft es nicht ganz. Haben wir Karten an den Wänden? Das haben wir tatsächlich. Aber auch wir sind schon in der Digitalisierung angekommen. Und Sie müssen sich das tatsächlich so vorstellen: einen großen Bildschirm, wo wir unterschiedliche Karten haben, wo wir uns unterschiedliche Kriegsverläufe angucken oder wo unterschiedlichste Informationen eingeblendet werden, die dauerpräsent sein müssen, um ein dauerhaftes Lagebild generieren zu können. Sie zeichnen das richtige Bild, wenn Sie sagen, dass da die ganze Zeit Telefone klingeln, aber auch auf den Rechnern ein unfassbar hoher Informationsaustausch stattfindet. Ja, aber wenn man die Aufgaben eines Lagezentrums sozusagen übereinanderlegt, ich sage mal als Profi, dann denkt man, dass da beispielsweise Bewertungen im großen Stil stattfinden. Und dafür haben aber die Fachlichkeit in unserem Haus, die das durchführen. Und dadurch, dass wir eher eine Informationsdrehscheibe sind, also jemand der Informationen sieht, sammelt und übereinanderlegt, um ein Gesamtbild, ein Gesamtlagebild zu entwickeln. Für die politische Ebene wäre die Bezeichnung Sonderstab eher treffend, die sehr wahrscheinlich jetzt auch in der nächsten Zeit gewählt wird.
JW: Um eben nicht das Bild eines Gefechtsstandes aufkommen zu lassen.
RP: In einem Gefechtsstand werden üblicherweise auch Entscheidungen getroffen. Da haben wir einen Informationseingang. Wir haben eine Informationsverarbeitung, wir haben eine Informationsbewertung und am Ende führt das auf einem Gefechtsstand zu einem Entschluss. Und das trifft das Bild nicht ganz. Das Lagezentrum Ukraine ist mehr oder minder eine Informationsdrehscheibe. Es werden schon bewertete Informationen gesammelt aus den Fachlichkeiten des Hauses, die dann noch mal übereinandergelegt werden oder gekoppelt und dann der politischen Führung zur Entscheidung präsentiert werden. Deshalb trifft hier eher die Bezeichnung Sonderstab zu.
JW: Und Sonderstab Ukraine ist am Ende sogar der Begriff, der in Zukunft sogar benutzt werden soll und es werden Informationen aufbereitet damit Entscheidungen getroffen werden können. In meinem Kopf sind dafür ziemlich viele Fachleute nötig:
RP: Wahrscheinlich weniger, wie Sie sich vorstellen. Also im Lagezentrum selbst sind wir knapp 20 Leute deutlich durchrotierend, weil wir doch fast 24 Stunden sieben Tage die Woche zur Verfügung stehen. Und es sind alles Soldaten oder Beamte aus dem Bundesministerium der Verteidigung, meist Spezialisten für das jeweilige Fach, für was sie eingesetzt sind. Also wir haben beispielsweise Spezialisten, die sich darum kümmern: Wo stehen die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kräfte? Was machen die NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kräfte in der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke, also Litauen im Baltikum generell Slowakei? Das konnten sie den Nachrichten entnehmen. Das möchte natürlich mitgekriegt werden und da kann ich keinen einsetzen, der das zum ersten Mal hört. Wir haben Leute, die sich hauptsächlich um das Lagebild der ukrainischen Streitkräfte kümmern. Wir haben Spezialisten, die sich um Materialfragen drehen. Wir haben Spezialisten, die sich um die Auswertung der russischen Taktik kümmern oder zumindest spezialisiert darin sind, diese Informationen abzufragen und aufzunehmen.
JW: Die Fachexpertise kommt ja am Ende aber nicht aus dem Lagezentrum Ukraine. Zumindest nicht ausschließlich.
RP: Da sprechen Sie genau den richtigen Punkt an. Also im Lagezentrum selbst sind wir am Ende nur ein Informationsknotenpunkt Wir haben im BMVgBundesministerium der Verteidigung selbst ein Heer an Spezialisten, ein Heer an Profis in unterschiedlichen Thematiken. Das jetzt noch mal zu doppeln in einem Lagezentrum, wäre schier unmöglich. Die Fachreferate und die Abteilungen haben alle eingelaufenen Informationswege. Sie haben Informationsbeziehungen im nationalen, im internationalen Bereich, in andere Ministerien hinein. Und auf dieses Know-how und auf diese Expertise müssen wir natürlich bauen. Heißt, unser Spezialist, den wir haben, ist insbesondere spezialisiert darin, die richtigen Referate und die richtigen Informationswege anzusprechen. Also er kennt die Struktur des Ministeriums und weiß sehr genau in seinem Fachgebiet, wer ihm welche Informationen liefern könnte.
JW: Jetzt tragen die Spezialisten aus dem Lagezentrum Ukraine ja nicht irgendwelche Informationen zusammen, sondern wahrscheinlich stehen da immer konkrete Fragen hinter.
RP: Ja, unbedingt. Da können wir uns auch gleich noch mal den Auftrag des Lagezentrums angucken. Das Lagezentrum ist dazu geschaffen worden, um eben diese Informationen, die mit der Ukraine und zwar ausschließlich mit der Ukraine zu tun haben, zu bündeln. Und das hauptsächlich für die politische Leitung des Ministeriums. Heißt, für die Staatssekretärebene und für die Ministerin selbst. Denn wie ich das versucht habe, ist in einem kurzen Satz schon aufzuzeigen, sind natürlich diese Informationen, die man dafür braucht, überall vorhanden. Und es wird einfach zu lange dauern, in so einer Krise, die alle zusammenzuführen auf den normalen Kommunikationswegen, die ein solches Ministerium hat. Also schafft man dieses Lagezentrum, um sehr, sehr schnell diese Informationsbündelung der politischen Führung zur Verfügung stellen zu können. In Vorbereitung von Entscheidungen oder einfach nur, um ein komplettes Lagebild entwickeln zu können.
JW: Und genau da kommt mir jetzt das Bild von einer Sanduhr in den Kopf. Das Lagezentrum ist der Knotenpunkt in der Mitte. Fragen vom Verteidigungsministerium kommen oben rein und wollen beantwortet werden. Oder eben aufbereitete Information oder Antworten auf diese Fragen gehen aus den Referaten des BMVgBundesministerium der Verteidigung nach oben. Gebündelt wird das Ganze dann im Lagezentrum Ukraine. Das ist ein gutes Gleichnis mit der Sanduhr oder Knotenpunkt oder die Spinne im Netz in dieser einen Thematik. Das kommt eben auch sehr nahe, wenn die politische Führung eine Frage zum Ukrainekonflikt hat, dann ist das ja immer ein ein sehr breites Bild, was abgefragt wird. Also ich versuche, das mal so zu zeichnen: Wir haben hochgradig ausgebildete Spezialisten im Thema Ausrüstung. Also wenn ich eine Frage zu einer Panzerhaubitze habe, dann spreche ich jemanden in der jeweiligen Fachabteilung an, der ein unfassbares Know-how dafür besitzt. Die möchte aber auch, wenn wir sie liefern, transportiert werden. Dafür gibt es dann andere Spezialisten, die sehr genau wissen, wie ich so ein tonnenschweres Gerät von A nach B bringe, über Ländergrenzen, welche Papiere dafür notwendig sind, welche Ministerien dazu, in welcher Form auch immer, dazu gebracht werden müssen, zu diesem Prozess. Ich möchte vielleicht aber auch wissen, was diese Munition macht oder wie man sie einsetzen könnte in einem Krieg. Und ich möchte vielleicht als Ministerin wissen, wie lange denn die Ausbildung dauert. So, und jetzt sprechen wir sozusagen unterschiedlichste Fachkräfte an, unterschiedlichste Spezialisten und man möchte einfach nicht in der Krise, dass jetzt die Ministerin ihre Frage an fünf unterschiedliche Abteilungen stellt, sondern dass sie in der Lage ist, das Lagezentrum Ukraine anzusprechen, zu sagen, ich möchte gerne wissen. Und dann werden die Informationen durch das Lagezentrum zusammengetragen. Also es ist, wie Sie sagen, ein Trichter nach oben wie nach unten.
JW: Vom Prinzip her klingt das ja eigentlich ganz simpel. Frage kommt, Experten werden angesprochen, Infos werden gesammelt und die Antwort geht wieder nach oben. Aber am Ende ist der Weg der Information schon noch komplexer.
RP: Ich will es mal an dem Beispiel der Panzerhaubitzen festmachen. Das ist ja nicht so, dass die Panzerhaubitzen irgendwo stehen, wir einfach nur sagen okay, packt sie ein und dann können wir sie mit DHL verschicken.
JW: Schön wäre es wahrscheinlich.
RP: Also so vereinfacht geht das nicht. Das bedeutet, und da versuche ich mal den Weg zu zeichnen, als Erstes geht die Information der Ukraine in Deutschland ein. Beim Bundeskanzleramt oder dem Verteidigungsministerium selbst, dass sie den Bedarf an solcher Gerätschaft haben. Dann muss die große Prüfschleife losgehen. Okay, wie viel haben wir davon? Wie viele sind wir, welche NATONorth Atlantic Treaty Organization-Verpflichtungen sind eingeplant? Wie viel brauchen wir selbst für die Ausbildung? Wie viele sind überhaupt einsatzbereit und wie viel könnten wir gegebenenfalls abgeben, um die Ukraine zu unterstützen? Wenn dieser Vorgang durch ist, haben Sie ja mit Sicherheit aus der Presse entnehmen können, dass das ein nationales oder bilaterales Projekt war. Mit den Niederlanden zusammen. Das heißt, jetzt muss ich Absprachen auf politischer sowie auf militärischer Ebene treffen. Wie kann man dieses Projekt zusammenlegen? Wo wollen wir das machen? Ausbildungsstätten müssen gefunden werden bis hin zu der Technikerfrage, wie kriegen wir eine niederländische Haubitze und eine deutsche Haubitze so hergerichtet, dass sie miteinander kommunizieren können und auf den gleichen Werten arbeiten. Bis hin zu solchen kleinen Fragen, wie kommen die ukrainischen Soldaten denn nach Deutschland, die dann ausgebildet werden? Und wer tut das und in welcher Sprache und wie lange bis hin zu, wie kann ich sie, ich bleibe mal bei diesem einfachen Wort, verpacken, transportieren, abladen. Wiederum in einem anderen Land. Das heißt, wir haben die nächste nationale Absprache oder binationale Absprache. Und das ist natürlich sehr, sehr komplex. Und selbst das, was ich Ihnen jetzt gezeigt habe, ist schon vereinfacht gesagt. Aber was Sie sich hinter diesem Ablauf vorstellen müssen, ist, dass da unterschiedlichste Fachbereiche wiederum involviert sind, die alle auf einem Punkt gelenkt werden müssen, und zwar einer sehr schnellen, zeitnahen materiellen Unterstützung, die sich in der Ukraine auswirkt. Aus eigenem Erleben kann ich Ihnen sagen, das ist schon, im Vergleich zu dem, ich sage mal Normalbetrieb, bei den normalen Abläufen ist das Rekordgeschwindigkeit, die da hingelegt wird.
JW: Heißt am Ende, dass das Lagezentrum Ukraine der Überbringer von Nachrichten ist.
RP: Ja, als Informationsüberbringer und als jemand, der die Informationen natürlich verbindet und übereinanderlegt und gegebenenfalls Widersprüche oder auch gleiche Sachen findet oder Dinge, die, wenn man sie koppelt, vielleicht auch sich potenzieren würden. Also einfach ein Informationsmanagement betreibt, woraus trotzdem dann natürlich Empfehlungen auch in Richtung Politik entstehen. Aber das Bild, welches Sie hier jetzt erneut gezeichnet haben, gilt es tatsächlich zu unterstreichen, dass eben die Fachlichkeit des Hauses immer unberührt bleiben oder dass das immer im engen Schulterschluss mit den Fachbereichen des Ministeriums nicht nur passiert, sondern auch zwingend passieren muss.
JW: Wenn wir das jetzt mal ein bisschen vereinfachen, dann kann man schon sagen, das Lagezentrum Ukraine sorgt am Ende dafür, dass die Infos schneller dahin kommen, wo sie hingehören. Verantwortlich dafür ist die neue Strukturschaffung vor allem und das haben wir schon mal gesehen: Denn das Verteidigungsministerium hatte schon mal das Lagezentrum Corona ausgebracht.
RP: Weil das so viele Felder berührte, so viel Einfluss hatte auf den alltäglichen Betrieb auch in den Streitkräften, dass man eben gesagt hat: Okay, wir brauchen ein Konstrukt, was alle möglichen Informationen bündelt und uns zu folgerichtigen Entscheidungen bringt. So ähnlich ist es jetzt sozusagen im Ukrainekrieg, der nach meinem persönlichen Dafürhalten sogar noch einen schnelleren Informationsbedarf generiert, weil er nicht aufhört. Ich habe da nicht die Möglichkeit zu sagen: Okay, da darf man noch mal eine Nacht drüber schlafen oder wir gucken mal, wie sich das entwickelt. Oder wir warten jetzt einfach mal ab.
JW: Da muss dann tatsächlich zeitnah reagiert werden.
RP: Genau. Und genau dafür ist es da. Ich würde jetzt nicht sagen, dass das nur am Lagezentrum Ukraine festzumachen ist. Das wäre vermessen und auch falsch. Aber durch eben die Änderung von Informationswegen schaffe ich, dort Geschwindigkeit zu etablieren. Und dadurch, dass die politische Leitung einen Ansprechpartner hat, einen Hauptansprechpartner hat, um sich aufbriefen zu lassen, um ein Lagebild zu entwickeln oder um Entscheidungen treffen zu können, gibt es schon eine gewisse Beschleunigung. In dem Prozess ist der ganze Sinn und Zweck der Aufstellung des Lagezentrums.
JW: Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, schon mal unser „Nachgefragt“-Format gesehen haben, dann haben Sie festgestellt, dass es schon zwei Folgen über das Lagezentrum Ukraine auf Youtube gibt, und zwar mit General Dr. Freuding. Er leitet das Lagezentrum und könnte gleichzeitig als Hauptansprechpartner gesehen werden, oder Herr Oberstleutnant?
RP: Tatsächlich kann man das so sehen. Der General Dr. Freuding ist sozusagen eine der bestinformierten und am breitesten informierten Generäle, was den Ukrainekrieg angeht, die wir derzeit im Bundesministerium der Verteidigung oder in der Bundeswehr selbst haben, weil bei ihm eben am Ende als Leiter Lagezentrum Ukraine alle Informationen zusammenfließen. Also überall, wo der Stempel Ukraine draufsteht, wird ihm das mindestens zur Kenntnis gereicht. Und er ist der, der diese ganzen Informationen verbindet, während wir natürlich aber im Innenministerium auch andere Ansprechpartner haben, wenn es dann um Details geht, wenn es noch tiefer geht, dann, wenn man noch mal Bedarf hat, wesentlich detailliertere Informationen zu erhalten. Beispielsweise über eine Verhandlung, die mit anderen Ländern geführt wird, wenn es um wirklich technische Fragen geht, die geklärt werden müssen.
JW: Herr Oberstleutnant, jetzt haben wir schon die ganze Zeit darüber geredet, wie das Lagezentrum Ukraine arbeitet, welche Informationen das zusammenfasst und wo die am Ende hingehen. Die Frage, die sich jetzt dem ein oder anderen Hörer oder der ein oder anderen Hörerin stellen könnte, wäre: Wofür ist das überhaupt wichtig?
RP: Also, dass das Verteidigungsministerium in Deutschland sich mit diesem Krieg beschäftigt, das ist eine ziemlich einfache Antwort. Also der Ukrainekrieg stellt die größte kriegerische Auseinandersetzung auf dem europäischen Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Und die Auswirkungen auf Deutschland kann man doch jetzt schon deutlich absehen. Das kann ich ja tagtäglich den Medien entnehmen. Es ist nicht nur so, dass wir zwei Armeen zugucken, wie sie aufeinanderprallen, oder dass wir einfach nur im Hinterkopf behalten müssen, dass wir hier einen unfassbar großen Krieg haben, in dem eine Atommacht als Aggressor teilnimmt. Sondern man merkt das im alltäglichen Leben: Die Spritpreise gehen hoch, die Energiepreise gehen hoch, die Lebensmittelpreise gehen nach oben. Also die Auswirkungen des Krieges sind natürlich mannigfaltig. Und jetzt aus dem Ressort Verteidigung haben wir natürlich einen besonderen Blick darauf: Wie kann sich dieser Konflikt noch weiterentwickeln? Wo hört dieser Krieg auf? Wie verhindern wir, dass wir aktive Kriegspartei werden? Wie können wir dennoch die Ukraine unterstützen, die einfach nur ihre Souveränität verteidigt? Also es wäre ein zu vereinfachtes Bild, wenn wir jetzt einfach sagen: Okay, die Ukraine hat Krieg. Was? Was geht es mich an? Also das ist wirklich insbesondere in unserer globalisierten Welt ein viel zu vereinfachtes Bild. Und dieser Krieg hat großes Potenzial, auch sich auszuweiten, wie eben am Ende jeder Krieg sich in seiner Intensität noch steigern kann. Auch das können wir ja beobachten. Also die Intensität der Gefechte, die Intensität der Gewalttätigkeiten, die in diesem Krieg stattfinden, haben sich ja seit Februar deutlich gesteigert. So, und da guckt natürlich das Verteidigungsministerium drauf oder generell Deutschland: Okay, wie können wir so schnell als möglich diesen Krieg beenden? Wie können wir so schnell als möglich wieder zu einer zumindest gewaltfreien Zeit übergehen?
JW: Dafür muss man jederzeit einen Blick auf die Lage haben können. Und um diesen Blick so umfassend wie möglich zu haben, ist doch bestimmt auch ein Austausch mit verschiedenen Ministerien und Behörden nötig.
RP: Also unbedingt. Es gibt natürlich unterschiedliche, jetzt schon feste Formate, in dem ein Austausch mit unseren internationalen Partnern stattfindet. Also insbesondere mit unseren ukrainischen Partnern sind wir ja eigentlich dauerhaft in Verbindung. Und natürlich gibt es auch einen regelmäßigen und im festen Turnus verankerten Austausch mit den Ministerien tagtäglich, aber eben auch an festen Punkten, wo man sagt: Okay, wir kommen jetzt zusammen, um unsere Informationen untereinander abzugleichen. Wir gucken natürlich über den Tellerrand und sagen: Okay, wie und wo engagieren sich denn auch unsere Bündnispartner oder andere Länder? Wo können wir partizipieren oder wo können wir uns gegenseitig unterstützen, um am Ende die Unterstützung der Ukraine nach oben zu schieben. Wir stehen als Ministerium stark in Verbindung mit der Rüstungsindustrie. Lieferungen aus den Beständen der Bundeswehr, aber eben auch sehr viele Lieferungen kommen aus den Kapazitäten der Rüstungsindustrie, um eben da wiederum eine Unterstützung heraus generieren zu können. Also diese Informationslinien sind fest etabliert oder werden eben ad hoc geschaffen. Aber es ist eine multidimensionale Herausforderung, der wir da begegnen, wo alle Aspekte mitberücksichtigt werden müssen und wo auch, wie ich schon vorher gezeichnet habe, nicht die alleinige Verantwortung beim Verteidigungsministerium liegt. Also sobald ich die Industrie anspreche, sobald ich über die Industrie spreche, bin ich natürlich sofort beim Wirtschaftsministerium. Wenn es um Beziehungen mit anderen Ländern geht oder um die Kommunikation mit anderen Ländern, habe ich immer die diplomatische Begleitung aus dem Auswärtigen Amt und es möchte alles miteinander abgestimmt sein. Das machen die Minister unter sich, das machen die Staatssekretäre unter sich. Und wenn Sie so wollen, macht es eben dann auch die Arbeitsebene unter sich, um hier zügig und auch sachlich richtig und folgerichtig Unterstützung an die Ukraine geben zu können.
JW: Wir haben also die Behörden, internationale Beziehungen, verschiedenste Ministerien und die Fachreferate im BMVgBundesministerium der Verteidigung, die zusammen mit dem Lagezentrum Ukraine fast rund um die Uhr an der Unterstützung für die Ukraine arbeiten. Klingt so ein bisschen, als würde Sie das auch persönlich reizen, Sie mitzuwirken.
RP: Reizen ist das falsche Wort dafür. Interessant ist das falsche Wort dafür. Wichtig. Es ist einfach wichtig. Ich würde mir wünschen, dass ich nicht in dem Lagezentrum Ukraine dienen müsste aufgrund des Krieges. Also ich glaube, jeder würde sich freuen, wenn der Bedarf eines Lagezentrums der Ukraine erst gar nicht entstanden wäre. Natürlich hat es eine gewisse Bedeutung für mich, dass man sagen kann: Okay, hier kann ich meine ganze Kraft reinsetzen. Man spürt diesen Willen in sich tatsächlich, so viel Unterstützung als möglich der Ukraine zukommen zu lassen. Und wenn man dazu, wenn auch nur, einen kleinen Beitrag leisten kann, in dem man seine eigene Arbeitskraft, seine eigene Zeit da rein investiert, umso besser. Wie in unserem Gespräch jetzt schon mehrmals erwähnt, ist das eine der größten Bedrohungen, der wir bis dato ausgesetzt waren. Nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht. In wirtschaftlicher Hinsicht. Und was mich beeindruckt. Als einfacher Soldat, der sozusagen hier seinen Beitrag mit leisten kann, ist, wenn ich sehe, wie auch in den anderen Bereichen, es Menschen gibt, die all ihre Kraft dahin einsetzen, um dieser Krise in irgendeiner Form Herr zu werden, die bis an den Rand der Belastbarkeit sozusagen versuchen, so viel Beitrag als möglich zu leisten. Es mag im Fernsehen so scheinen, das ist weit weg und was geht es uns an? Aber am Ende sterben dort jeden Tag auf ukrainischer, aber auch auf russischer Seite Menschen. Und wenn wir als Deutschland, als Regierung, als Bundesministerium der Verteidigung, als Lagezentrum Ukraine oder dann eben als kleiner Oberstleutnant einen Beitrag dazu leisten können, diesen Krieg einzudämmen, zu beenden, aber eben auch die Ukraine in dem völlig außer Frage stehenden, richtigen Kampf unterstützen können, weiß ich nicht, ob ich in meinem Leben bis jetzt etwas getan habe mit mehr Tragweite.
JW: Vielen, vielen Dank für das ehrliche Gespräch und vielen Dank für die Einblicke und vielen Dank vor allem, dass Sie da waren.
RP: Sehr gerne, Frau Hauptmann.
Am Ende leistet das Lagezentrum Ukraine beziehungsweise zukünftig der Sonderstab Ukraine seinen Beitrag für eine Unterstützung der Ukraine durch Deutschland. Und das tun Sie zusammen mit Fachreferenten aus dem Verteidigungsministerium, anderen Behörden, Ministerien und sogar international: Immer darauf bedacht, als Spinne im Netz die Information so schnell wie möglich für die Bundesregierung aufzubereiten. Damit dort die Entscheidungen zur Unterstützung getroffen werden können.
Und wenn Sie mögen, liebe Hörerinnen und Hörer, unsere nächste Folge kommt in 14 Tagen auf allen bekannten Kanälen. Ich bin Hauptmann Janet Watson und ich melde mich ab aus dem Funkkreis.