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Lesedauer:
24 MIN

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Sprecher: Frau Hauptmann Janet Watson (JW), Oberleutnant Andi (OL A)*


Delta to all. Radiocheck. Over.
Hier ist Bravo. Kommen.
This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr.

JW:
Herzlich willkommen zum Funkkreis. Ich bin Hauptmann Janet Watson und heute geht es bei uns um dieses Thema hier:

OL A:
Und so wie es auch im Paragrafen zwölf steht: Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht wesentlich auf der Kameradschaft. Und ich denke, hier wird schon klar, wie wichtig das ist.

JW:
Nein, wird nämlich noch nicht so ganz klar. Also mir zumindest nicht. Das Soldatengesetz ist da vielleicht auch gar nicht so der richtige Ansatz für den Anfang. Kameradschaft. Darum soll es ja heute gehen. Das ist bei uns in der Truppe tatsächlich eine Eigenschaft, die uns von Beginn an immer wieder eingetrichtert wird. Mittlerweile löst das auch bei mir so ein ganz bestimmtes Gefühl aus. Und deshalb wollte ich dem mal nachgehen, wissen, ob es den anderen genauso geht und mal versuchen, das Gefühl vor allem zu erklären und fassbar zu machen. Und dafür habe ich mit Oberleutnant Andi gesprochen. Er ist beim KSKKommando Spezialkräfte und das schon seit 21 Jahren. Und irgendwie habe ich das Gefühl, genau hier, beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, auf die Suche gehen zu müssen. Nach Antworten auf die Frage: Was ist Kameradschaft? Hi, Andi, und schön, dass du da bist.

OL A:
Ja, vielen Dank. Ich freue mich auch, heute hier an dem Interview teilnehmen zu dürfen.

JW:
Und ich bin auch echt dankbar, dass du mit uns über das Thema heute reden willst, und ich steig auch gleich mal mit der richtigen Keule ein. Woran denkst du bei dem Wort Kameradschaft?

OL A:
Bei Kameradschaft primär an Gemeinschaft, also füreinander einstehen, aber auch letztendlich das Zusammenleben, also insbesondere das der militärischen Gemeinschaft. Ich habe noch als Wehrpflichtiger die Achtmann-Stube erlebt in der Grundausbildung und dann später auch waren Mehrmann-Stuben völlig normaler Ablauf auf Lehrgängen et cetera. Und da war einfach zwangsläufig schon gegeben, dass man aufeinander Rücksicht nimmt und dass man sich abstimmt, dass man zusammen die Stube sauberhält und auch entsprechend auf die Ruhezeiten achtet und so weiter. Das klingt jetzt sehr banal.

JW:
Muss man bei acht Leuten wahrscheinlich aber auch.

OL A:
Ja, absolut natürlich. Und das lernt man auch neben der militärischen Gemeinschaft. Und für viele war das auch völlig neu. Also jeder, der Soldat ist, und die Zuhörer, die in der Truppe sind, werden es sicher noch wissen aus ihrer Grundausbildung, wie das damals war. Und das hat schon geprägt. Und aus meiner Sicht ist es auch eine wichtige Voraussetzung oder eine Vorbereitung auf Situationen, wie sie dann im Einsatz durchaus sehr real auf einen zukommen. Und ich habe es selber erlebt in den ersten Einsätzen, in denen eben noch keine klimatisierten Container und Einzelstuben die Normalität waren, sondern das Zelt und ich. Und in dem Zelt waren dann auch bis zu acht weitere Personen und Privatsphäre sehr eingeschränkt. Und wenn man hier über Monate dann auf engstem Raum auch durchaus unter belastenden oder anstrengenden Situationen zusammenlebt, dann ist auch hier die Rücksichtnahme absolut essenziell, damit es nicht zu Konflikten kommt oder wenn Spannungen kommen, dass man Mechanismen und Methoden entwickelt hat, wie man diese abbaut, wie man damit coped, wie man damit umgeht in der Gemeinschaft, um dann sich wieder zusammenzuraufen als Kampfgemeinschaft. 

Und das muss aus meiner Sicht dieser Sozialisierungstempel, der muss in der Grundausbildung schon erfolgen. Und wir haben ja da ein Stück weit auch natürlich in der Truppe den Bedürfnissen des modernen Menschen oder das des heutigen jungen Menschen Rechnung getragen mit einer Einzelstube, mit einem hohen Grad an Individualisierung, weil das eben auch gefordert ist oder auch, sage ich mal, zum guten Ton in der Gesellschaft gehört. Aber ich glaube, wir können uns als Truppe durchaus auch erlauben, jungen Menschen das zuzumuten, mal in einer Gemeinschaft auf engem Raum mit wenig individuellem Freiraum oder individuellem Rückzugsraum zu leben, um genau das zu lernen. Weil wir bilden ja nicht vom Grundbetrieb aus, sondern wir bilden für den Einsatz aus. Wir müssen immer vom scharfen Ende her denken. Und ich denke, wir in unserer Einheit haben das vielleicht in einer deutlicheren Präsenz als andere, aber trotzdem verbindet uns das alles: Teilstreitkraft, truppengattungsübergreifend, völlig egal. Wir müssen vom scharfen Ende her denken und ich denke der aktuelle Konflikt führt uns das auch sehr deutlich vor Augen, wie schnell es dann auch scharf gehen kann. Und wenn ich halt nie gelernt habe, solche banalen Dinge wie das Leben in der militärischen Gemeinschaft zu gestalten, dann kann ich das ganz sicher nicht im Einsatz lernen. Deshalb muss das aus meiner Sicht in einer sehr frühen Phase erfolgen. Und ich denke, das zeigt auch, dass Kameradschaft eben das Fundament ist, der Kitt, auf den alles Weitere baut und auf dem unser Zusammenleben beruht.

JW:
Das heißt, wenn wir es vom Prinzip her zusammenfassen wollen: Wir haben jetzt zwei Begriffe dabeigehabt, die du immer wieder genutzt hast. Das war Kameradschaft und so ein bisschen Entbehrung, würde ich es jetzt mal nennen wollen, wenn wir es jemandem erklären müssten, der noch nie was mit Kameradschaft oder Militär zu tun hatte. Sind das die zwei Begriffe, die es am Ende ausmacht?

OL A:
Ja, Kameradschaft für jemanden, der nicht im Militär ist. Ich denke mal in Sportvereinen, in sportlichen Teams, in Wettkampfteams, wenn man da so vom Teamgeist spricht, das kommt vielleicht am ehesten der Kameradschaft nah. Nur ist es jetzt so, das Militär braucht die Kameradschaft zwingend. Das zeigt ja auch, was ich eingangs sagte, die Verankerung im Soldatengesetz. Und deshalb kann ich jetzt nicht darauf hoffen, dass sich ein Teamspirit, ein Geist, ein Korpsgeist, ein Gemeinschaftsgefühl herausbildet, sondern ich muss es einfordern. Ich denke, das ist der Kernunterschied. Ich glaube, es gibt Kameradschaft sehr wohl auch im im zivilen Bereich, zivilen Umfeld. Und das, wie gesagt, wenn sich das jemand, wer vielleicht Teamsport betreibt, Handballmannschaft, Fußballmannschaft und da spürt auch Mensch, der springt für mich ein, der passt auf mich auf, der gibt mir auch mal nen Tipp, der gibt mir mal einen kritischen Tipp. Wir raufen uns wieder zusammen, auch wenn es schwierig wird. Das ist, denke ich, am ehesten vielleicht dann nachvollziehbar, was Kameradschaft im militärischen Umfeld bedeutet. Und natürlich kommt im militärischen Konsens immer noch dieser, sage ich mal, durchaus dramatischer Aspekt noch hinzu, dass es halt bis zum Einsatz des eigenen Lebens sein kann. Wobei, wenn wir immer gleich auf diese Stufe springen, dann wirkt halt dieser Begriff Kameradschaft so abstrakt, dass viele dann nicht so richtig damit klarkommen. Also Kameradschaft fängt halt wirklich an von, ich komme eine Stunde später in die Stube, mach nicht das Licht an, sondern habe vielleicht eine Stirnlampe auf mit rotem Licht, um nicht alle zu wecken, und schlurf morgens nicht um fünf schon, wenn ich halt der Erste bin, der zum Frühsport geht, mit meinen Badelatschen so rum, dass alle wach werden.

JW:
Knall die Türen nicht.

OL A:
Ja, bis hin zu, ich exponiere mich dem Feindfeuer, um einen verwundeten Kameraden zu retten oder ihm zu Hilfe zu kommen. Also in dieser Bandbreite bewegen wir uns und das eine ist in einer postheroischen Gesellschaft vielleicht so ein bisschen pathetisch wirken. Aber es ist ja im Einsatz, de facto gerade jetzt Afghanistaneinsatz, auch in vielen Truppengattungen, viele gerade Kampftruppe, die da im Einsatz auch im Feuer stand, hat er genau solche Situationen wieder erlebt und aber eben auch das andere. Und das gehört alles dazu. Und das alles macht dann letztendlich auch aus dem Begriff Kameradschaft durchaus was sehr Komplexes, was sehr Vielschichtiges. Und so denke ich, kann man sich vielleicht dem Begriff am ehesten annähern.

JW:
Du kommst ja auch aus dem Leistungssport, bist früher Fahrrad gefahren und jetzt findet sich so ein kameradschaftlicher Gedanke vielleicht zwar eher im Mannschaftssport wieder, aber gerade in Bereichen, wo es auf was ankommt, wo man Erfolg haben will, findet man eben doch irgendwie immer noch mal so was wie Kameradschaft.

OL A:
Was der Leistungssport, denke ich, schon macht. Oder der Sport im Allgemeinen. Ich will gar nicht so sehr auf den Leistungsgedanken hinaus, wenn man gewisse Härten, gewisse Anstrengung miteinander durchsteht, auch wenn man sich gar nicht so unmittelbar zu Hilfe kommen muss, sondern einfach nur das gemeinsame Erleben in dem gleichen Umfeld, in der gleichen Situation miteinander, gewissen Unbilden gestellt zu sein. Das schweißt zusammen und schafft auch Kameradschaft.

JW:
Und das ist ja auch übertragbar.

OL A:
Dieser Moment, gemeinsam Härten zu durchstehen, und das schafft eben auch die Kameradschaft, die ich dann gegebenenfalls auch im Einsatz brauche. Und die kann ich aber auch nur schaffen, wenn ich den Soldaten, die Soldatin entsprechend belaste. Also das gehört schon dazu. Und da ist dann auch die Parallele zum Sport. Also wenn ich mich immer in meiner Komfortzone bewege, werde ich das nicht erreichen. So, ich muss wirklich an den Rand oder auch darüber hinaus immer wieder die Soldatinnen und Soldaten bringen, um dann hier auch diesen Moment, diese Möglichkeit, Kameradschaft schaffen zu können, ausnutzen zu können. Und dazu ist eben auch fordernde Ausbildung nötig. Und da ist dann letztendlich immer gerade für den Zivilisten, der so was nur aus irgendwelchen Hollywoodschinken wie Full Metal Jacket kennt, das ist natürlich, hat mit der Realität wenig zu tun und ist dann ja auch ganz schnell jenseits jeglicher Menschenwürde. Aber ich muss sehr wohl fordernde Ausbildung realisieren und den Soldaten die auch angedeihen lassen, um überhaupt dann auch mich darauf später abstützen zu können im Einsatz. Und das ist ganz essenziell und ich glaube, das tun Spezialkräfte einfach nur dadurch, dass sie sehr intensiv und hart trainieren, aber nie, um irgendwelchen sadistischen Neigungen irgendwelcher Ausbilder zu frönen, sondern um eben genau den Soldaten auf das vorzubereiten, was ihn im Einsatz erwarten kann. Und je genauer, realistischer und intensiver ich das mache, umso besser ist er dann auch vorbereitet. Und ich denke, das zeigt dann auch, warum die Kameradschaft in manchen Truppengattungen, in manchen Truppenteilen eben ausgeprägter ist. Sie wird dort aber auch stärker benötigt. Also das folgt schon auch einer gewissen Bedarfslogik. Also die Kameradschaft schafft sich in den Truppenteilen, in denen sie benötigt wird, auch automatisch stärker. Insofern ist da schon eine Graduierung auch zu sehen. Also je ziviler eine Verwendung innerhalb der Streitkräfte ist, umso geringer ist der Grad an Kameradschaft, den ich benötige. Wobei ich glaube, dass ein ausgeprägtes Maß oder ein gewisses Maß an Kameradschaft jede Zusammenarbeit verbessert, weil man einfach, auch wenn man, sage ich mal, den klassischen Nine-to-five-Bürojob hat. Auch dort ist es einfach schöner, wenn man sich nett begegnet, wenn man Konflikte auf Augenhöhe mit offenem Visier klärt. Auch hier im Kleinen zeigt sich wieder Kameradschaft und der Vorteil dessen. Ich glaube, in ganz festen Strukturen funktioniert auch alles ohne Kameradschaft. Aber das ist einfach nicht schön.

JW:
Beschreib doch mal, wie du dir einen guten Kameraden vorstellst, also tatsächlich einen Menschen, der sehr kameradschaftlich ist.

OL A:
Da tue ich mich ein bisschen schwer mit dem Wort gut, weil es sehr wertend ist. Ich glaube, wenn ich mich auf ihn verlassen kann und wenn ich weiß, dass er auch persönliche Nachteile in Kauf nimmt, wenn es eine gute Begründung dafür gibt, das in dem Moment für mich zu übernehmen, für mich einzustehen, aber auch eine gewisse, ich glaube, eine gute Fehlerkultur gehört zu einer Kameradschaft, weil man sich einfach sagen kann, was man über den anderen denkt, was vielleicht auch mal schlecht gelaufen ist in einer Situation. Also auch hier, sage ich mal, ein respektvoller Umgang, da drückt sich für mich Kameradschaft aus. Und ich möchte noch mal anknüpfen an den Paragrafen zwölf, da steht Würde, Ehre und Rechte. Und das zeigt es eigentlich, also wenn, wenn er meine Ehre beachtet, dann wird er mich nicht beleidigen, wird nicht hintenrum über mich schlecht reden, wenn er meine Würde achtet, dann wird er letztendlich auch darauf achten. Da gehört körperliche Unversehrtheit dazu, aber auch seelische Unversehrtheit. Da wird kein Mobbing stattfinden. Und all diese unangenehmen Dinge, die ja leider immer wieder auftreten und weshalb sich immer wieder auch Disziplinarvorgesetzte damit auseinandersetzen müssen. Und ich denke, das im Kern, wenn das, sage ich mal, das steht hier sehr abstrakt, aber wenn man es herunterbricht auf den Alltag, wenn wir, wenn wir ein gutes Miteinander, ein respektvolles Miteinander pflegen, dann leben wir, glaube ich, Kameradschaft genauso, wie ich sie mir wünsche und wie ich sie zum Glück auch immer erlebt habe. Zumindest hier im KSKKommando Spezialkräfte kann ich sagen: Ich habe es nie vermisst in dem Maße, wie ich es mir vorgestellt oder gewünscht hätte. 

JW:
Vom Prinzip her auch so ein bisschen, dass ich gebe als als Teil der Gemeinschaft, dass ich das gebe, was ich habe zum Wohle der Gemeinschaft. Auch einfach so ein bisschen. 

OL A:
Ja. Genau. Also natürlich ist da auch eine Gefahr des Missbrauchs. Es gibt ja da noch den flapsigen Spruch, Kameradschaft ist, wenn der Kamerad schafft und so weiter. Oder Kameradschaft ist keine Einbahnstraße. Genau das ist es natürlich. Wenn mir Kameradschaft entgegengebracht wird, dann muss ich die natürlich auch wieder beantworten. Und in dem Maß, in dem es mir eben möglich ist. Aber natürlich zahlt sich da auch jedes Investment aus. Wenn ich mich kameradschaftlich zeige, dann werde ich es auch, denke ich am ehesten auch wieder erleben, dass man mir kameradschaftlich begegnet. Genauso, wenn ich mich völlig unkameradschaftlich verhalte, kann ich natürlich nicht erwarten, dass mein Umfeld mir kameradschaftlich begegnet. Das ist auf jeden Fall eine Wechselwirkung. Aber das sind ja soziale Mechanismen und Grundlagen des sozialen Zusammenlebens, die sich auch im Zivilen finden. So wie es in Wald hineinruft, so schallt es zurück. Ich denke, das ist, da sind wir nicht anders als jede andere Arbeitsgemeinschaft oder jede andere Gruppe von Personen, die zusammen arbeiten oder leben oder irgendwelche Herausforderungen meistern müssen.

JW:
Und trotzdem würde ich zum Beispiel für mich persönlich sagen, ist Kameradschaft schon irgendwie was Anderes als draußen, kann ich mir vorstellen, so einen Kollegen oder so eine Kollegin zu haben, wo man halt wirklich nur von morgens, Nine-to-five-Job hatten wir tatsächlich vorhin schon mal kurz, wo man eben sich morgens sieht, vielleicht in der Mittagspause einen Kaffee trinkt und noch mal das wieder auseinandergeht und jeder so sein sein eigenes Leben hat, wo man eben nicht über Monate zusammen unterwegs sein muss oder tatsächlich sich irgendwann irgendwelchen vielleicht auch lebensverändernden Situationen gegenübersieht.

OL A:
Ich denke, was im militärischen Kontext immer zusammengehört, ist natürlich Befehl und Gehorsam. Und ich sage mal, das steht aus meiner Sicht über der Kameradschaft. Also Kameradschaft ist der Kitt, der regelt das Zusammenleben der Soldaten, das Miteinander in der Breite, in dem Spektrum, wie ich beschrieben habe, und Befehl und Gehorsam und dann auch das loyale Umsetzen der Befehle ist natürlich dann letztendlich, schafft die Funktionalität insbesondere natürlich dann auch. Auch hier bewegen wir uns natürlich in dem Bereich von, ich regle die Parkordnung mit dem Befehl oder ich regle letztendlich den militärischen Angriff auf ein infanteristisches Grabensystem, wo es dann letztendlich auch zu Verlusten, zu Ausfällen oder zu Aufträgen kommen kann, die nicht nur potenziell lebensgefährlich sind. Und ich denke, da kommen wir da auch wieder zu dem Bereich, was du sagtest. Wo ist der Unterschied zum Zivilen? Also die Kameradschaft wird natürlich in unterschiedlichen Ausprägungen gefordert, eingefordert und notwendig. Und im Einsatz ist es natürlich auch dann mit einer Konsequenz, die man halt sonst vielleicht nur im Bereich der Polizei oder Berufsfeuerwehr hat, dass man eben sein Leben für das eines einer anderen Person einsetzt oder riskiert.

JW:
Wir hatten vor ein paar Monaten schon mal einen anderen Podcast. Militärische Führung, Teil eins nennt er sich. Da habe ich mit einem Gebirgsjägerstabsoffizier darüber geredet, wie sich Führen zum Beispiel im Einsatz beziehungsweise in Gefechten darstellt. Und da haben wir ein Beispiel im Podcast gehabt. Und zwar befindet sich eine Gruppe im Gefecht und einer muss sichern, um den Rückzug der anderen zu ermöglichen. Also liegen bleiben und weiter schießen, wenn die anderen schon mal sich zurückziehen können, gehen können. Und er meinte damals, der Grund, warum du da liegen bleibst, ist Befehl und Gehorsam, weil ich dir gesagt habe, dass du da liegen bleiben sollst. Und seitdem habe ich immer wieder super lange darüber nachgedacht und bin mir bis heute echt nicht sicher: Mache ich es, weil der es mir gesagt hat, oder mache ich es nicht vielleicht halt echt für den links und für den rechten Mann oder Frau neben mir, damit die einfach sicherer da rauskommen? Also aus Kameradschaft.

OL A:
Ja, also ja und nein. Ich glaube, es kann das eine wie das andere oder beides zusammen zeitgleich sein, also Gehorsam und Kameradschaft. Also ich kann dort liegen bleiben, weil ich den Befehl bekomme, und ich führe ihn gegebenenfalls auch darüber hinaus noch aus, wenn mir auch kein Befehl mehr gegeben wird, weil ich es in dem Moment für meine Kameraden tue, aus Kameradschaft heraus. Und ich glaube, wir können Befehl, Gehorsam und Kameradschaft nicht voneinander trennen. Und trotz alledem, dass wir alle gleich aussehen, Einheitlichkeit ist der Preis der Freiheit, sind wir nicht alle gleich, sondern wir sind ja trotzdem unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Sozialisierungen, unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen. Und insofern muss ich bei dem einen vielleicht mehr befehlen und der andere setzt von sich aus schon gewisse Dinge einfach um, weil er kameradschaftlich denkt und handelt. Und Kameradschaft hört ja nicht in der Dienstgradgruppe auf. Also ich kann ja auch meinem Chef gegenüber mich kameradschaftlich verhalten, indem ich in seinem Sinne denke und handle. Auch das ist Kameradschaft. Und genauso denkt er im Sinne der Fürsorge, die ja auch noch als Aspekt, eben als besondere Pflicht ja auch des Vorgesetzten kommt, dass er eben nicht seine Soldatinnen und Soldaten blindlings verheizt, sondern letztendlich natürlich auch dort fürsorglich immer so abwägen muss, wie erfülle ich meinen Auftrag, ohne meine Soldaten unnötigem Risiko auszusetzen? Ich werde sie zwangsläufig Risiko aussetzen müssen, aber das kann ich eben mitigieren durch gute Ausbildung im Vorfeld. Die kann ich aber nicht erst im Einsatz machen, sondern die muss vorher stattfinden. Und dann gute Planung, gute Entscheidungen, vor allem Entscheidungen. Und insofern denke ich, ist das, es ist sehr komplex und es ist ein Konglomerat aus diesen unterschiedlichen Begriffen, die dann zusammenwirken und in den individuellen Unterschieden dann auch unterschiedlich ausgeprägt sind. Also der eine, der vielleicht weniger kameradschaftlich ist, braucht einen deutlicheren Befehl, aber am Ende, glaube ich, in der Wirkung und in der Effizienz und in der Auftragserfüllung, die wir uns wünschen, ist Kameradschaft der entscheidende Baustein und nicht der Befehl. Der Befehl regelt gewisse Abläufe, aber die Qualität der Auftragserfüllung ist wesentlich vom Grad der Kameradschaft abhängig. In meiner Sicht. Und deshalb will ich jetzt nicht sagen, die Soldaten kämpfen nur für den rechts und links neben sich im Schützengraben. Ich glaube, das Wort nur ist hier falsch, sondern ich glaube auch. Also es kommt auch immer auf die Situation an, wie viel Führung findet gerade statt, wie viel Führung kann stattfinden und insofern glaube ich, kann man das nicht Schwarz und Weiß sehen, sondern ist das sehr situationsabhängig.

JW:
Wie wichtig ist denn Kameradschaft im Gefechtssituationen dann, wenn du dich entscheiden müsstest?

OL A:
Auf jeden Fall sehr wichtig, weil, wenn ich Kameraden um mich herum habe, weiß ich, die werden mich nicht im Stich lassen und das gibt mir eine gewisse Sicherheit, dann dort auch in diesem schwierigen oder auch gefährlichen Umfeld zu agieren. Und diese Sicherheit kann mir nur das Gefühl von Kameradschaft geben.

JW:
Eine Frage, die ich mich jetzt nicht so richtig traue zu stellen, ist die: Warst du mal in Gefechtssituationen? Hast du mal in Gefechten gestanden?

OL A:
Ich habe die Gefechtsmedaille, ja, und ich war auch in Gefechtssituationen, ja.

JW:
Ich möchte gar nicht detailliert darauf eingehen, sondern vielmehr einfach nur so ein bisschen verknüpfen. Hast du genau in solchen Situationen dann das Gefühl gehabt, du kannst dich drauf verlassen? Hast du dieses Gefühl der Kameradschaft in solchen Momenten verspürt?

OL A:
Ja, wobei ich jetzt sagen muss, da ist im KSKKommando Spezialkräfte, denke ich, noch ein besonderer Aspekt, der mit reinkommt, ist sehr hohe Grad an Professionalität und durch das hohe Maß an Repetition und Ausbildung und Übungen, die wir machen, läuft alles mit einem hohen Grad an Automatismen ab. Also da läuft sehr viel auf der professionellen Ebene und deshalb steht das jetzt. Aber das ist meine ganz individuelle und persönliche Wahrnehmung. Da habe ich es nie gesagt, oje, hoffentlich ist er ein guter Kamerad und zieht mich da raus, sondern ich wusste einfach, ich habe Profis um mich herum, die auch so gut trainiert sind und die genau wissen, was sie tun und vor allem auch wissen, was sie tun sollen, wenn irgendwas mal schiefläuft. Dass ich jetzt da jetzt weniger hoffen musste, sondern wusste, ich bin umgeben von sehr fähigen und gut ausgebildeten Soldaten, die in jeder Situation auch immer noch handlungsfähig sind.

JW:
Und ich möchte da auch gar nicht drauf eingehen, dass es irgendwie an Hoffnung dann am Ende kleben muss. Um Gottes Willen. Aber das Schöne ist ja, wenn man weiß, man ist mit gut ausgebildeten Menschen unterwegs, wenn man weiß, man ist wirklich auch von Kameraden, das ist ja ein Gefühl, das baut sich ja vorher auf.

OL A:
Und durch das viele Training und die vielen Übungen und natürlich dann auch die vielen Einsätze schafft sich einfach auch Kameradschaft und Zusammenhalt. Da habe ich nie gezweifelt oder musste ich nie zweifeln oder musste ich auch nicht auf die Gefechtssituation warten. Nee, das war klar, dass wir besonders ausgeprägtes und hohes Maß an Kameradschaft bei uns im Verband, in den Einheiten haben, unbedingt. Ja, und das hat sich auch vorher schon geschaffen, natürlich nicht erst in den Einsätzen.

JW:
Jetzt ist Kameradschaft, dass die Konsequenz eventuell sein kann, dass ich im Sinne der Kameradschaft bereit bin, auch für den anderen mein Leben zu geben. Das ist für mich das höchste Gut, was ich habe, was ich in dem Moment dann weggeben kann. Jetzt ist aber auch Kameradschaft, darf, wie ich finde, nicht blind einhergehen und darf nicht, also ich kann mich nicht nur, weil ich Uniform trage, jedem gegenüber mit allem verausgaben. Kameradschaft, finde ich, muss Grenzen finden. Wo würden sie deiner Meinung nach Grenzen finden müssen?

OL A:
Ja, du hast mit deiner Frage das eigentlich schon ganz gut eingegrenzt. Dieses das blinde Sichselbstaufopfern in einer Situation, die gegebenenfalls auch mehr oder weniger aussichtslos ist, also wo auch keine, keine große Hilfe oder kein großer Effekt zu erwarten ist durch meinen Einsatz, da muss, denke ich, Kameradschaft auf jeden Fall Grenzen finden und ich denke, das reguliert sich schon auch ganz gut von selbst. Also ich glaube, da braucht man jetzt keine Eingriffe Dritter, um jetzt zu sagen, Stopp, jetzt ist mal gut mit Kameradschaft, sondern ich denke, das reguliert sich ganz gut und es reguliert sich vor allem dort gut, wo die Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet sind, weil wenn ich halt Kontext habe, wenn ich Erfahrung habe aus Übungen, die möglichst realistisch sind, dann weiß ich halt auch, wenn Verwundete auftreten, wenn ich kritische Gefechtsituationen habe, durch welche Maßnahmen, durch welche Handlungen kann ich einen Effekt erzielen? 

Was ist wichtig in dieser Phase und wo bin ich dann auch als Kamerad gefordert? Aber wo findet das eben auch seine Grenzen im Sinne von blindem Aktionismus? Ich gefährde mich und ich muss ja auch immer in Gefechtssituationen bedenken:. Wenn ich mich exponiere und gefährde und dabei verwundet werde, schwerst verwundet oder gegebenenfalls getötet, dann hat das ja auch wieder ganz viele Konsequenzen für die Rettungskette, die hintendran steht, für die Kräfte, die zum Entsatz bereitgestellt werden, die sich auch wieder einem höheren Risiko exponieren müssen. Und insofern, auch das ist Kameradschaft, dass ich dann auch die Konsequenzen meines Handelns antizipiere. Also wenn ich jetzt blindlings irgendwohin renne, um jemanden unmittelbar zu retten, oder mir eben eine Minute Zeit gebe, Hilfe zu holen, die Lage abzuschätzen und dann erst zu handeln, um dann eben nicht noch ganz viele andere nach mir in große Gefahr zu bringen. Also da denke ich, da muss Kameradschaft ihre Grenzen finden und das kann ich am besten mitigieren, indem ich Soldaten und Soldaten intensiv und und auch fordernd ausbilde. Also das ist wirklich ein ganz, ganz wichtiger Baustein. 

JW:
Aber ich finde, nicht nur in solchen Situationen muss Kameradschaft irgendwie Grenzen finden können. Klar, wir haben jetzt die Extremsituation gezeichnet, aber ich finde, es muss auch schon viel, viel früher losgehen. Wir haben gerade in der Bundeswehr auch so die Begrifflichkeit der falsch verstandenen Kameradschaft, wo man dann vielleicht einfach, weil man ja besonders eng mit bestimmten Kameraden irgendwie zusammenarbeitet und so weiter vielleicht an einem Punkt kommt, wo man sich fragt: Oh, der baut gerade Scheiße. Gucke ich jetzt weg, gucke ich jetzt nicht weg. Und genau das ist so ein Punkt, finde ich, wo eine Grenze halt genauso gezogen werden müsste.

OL A:
Ja, unbedingt. Also das ist, denke ich, auch eine Frage der Professionalität, dass man eben sagt, Kameradschaft ist etwas, was ich eben im militärischen Umfeld, Kontext brauche, in unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichen Orten. Aber natürlich sind wir auch alle Menschen und dann muss ich irgendwo auch eine Grenze natürlich ziehen. Also ich bewege mich ja trotzdem innerhalb der Vorschriften, innerhalb der Gesetze und Normen und die dürfen nicht durch Kameradschaft ausgehebelt oder ignoriert werden. 
Unbedingt. Also da bin ich ganz und gar bei dir. Und das ist dann auch durchaus eine Herausforderung. Da muss man sich immer wieder reflektieren. Bewege ich mich gegebenenfalls jetzt noch in dem Bereich? Bin ich objektiv in meinem Urteil, bevorzuge ich den einen oder anderen, die eine oder andere. Also da, das ist ja dann auch fließend. Und wie gesagt, da sind wir halt auch alle Menschen und das, denke ich, kann man dann auch nur wieder durch Professionalität einfangen. Und dann müssen natürlich auch die militärischen Führer eingreifen gegebenenfalls, weil Führen, Ausbilden, Erziehen, das geht dann auch ein Stück weit in die Erziehung mit rein, dass ich den Soldatinnen und Soldaten natürlich da auch zeigen muss, okay, Kameradschaft ist wichtig. Wir brauchen Kameradschaften eins, zwo, drei, vier, aus diesen Gründen. Aber die finden auch ihre Grenzen, wenn wir eben an Gesetze, Normen, Vorschriften stoßen und dann eben nicht weggucken. Weil auch dann ist es ähnlich, wie gerade eben in der Gefechtssituation beschrieben, ich decke vielleicht dann aus falsch verstandener Kameradschaft jemanden, aber am Ende ist die Konsequenz oder die Auswirkung dann für die Gemeinschaft noch viel, erheblich schlimmer, wie wenn man  eben gleich laut eingegriffen hätte und da eben nicht, sage ich mal, mit einem falschen Verständnis rangegangen wäre. Unbedingt. Ja, sehe ich auch so.

JW:
Ich werfe mal einen Spruch in den Raum: Kameraden sind mehr als Freunde, aber irgendwie auch nicht. Ein witziger Titel für Kameraden sind ja auch dienstlich gelieferte Freunde und ich kann mich vom Gefühl her damit auch zu Teilen identifizieren. Man vertraut sich auf ganz anderen Ebenen et cetera. Wie stehst du denn zu den Bezeichnungen?

OL A:
Ich glaube, dass das mit den gelieferten Freunden schon ein großer Schatz ist, den wir auch haben. Ich denke, wo auch die Streitkräfte durchaus attraktiv sein können. Für mich hat Kameradschaft auch ein gewisses Moment der Professionalität. Also ich bin kameradschaftlich im dienstlichen Umfeld mit meinen Kameraden und da verbindet mich auch eine tiefe Kameradschaft. Aber das bedeutet zwangsläufig nicht, dass ich mit denen in Urlaub fahre. Aber das bedeutet nicht, dass ich die jetzt abhake oder dass da nicht irgendwo ein Gefühl der inneren, tiefen Verbundenheit ist, sondern dass ich eben auch diese unterschiedlichen Räume brauch. Aber das ist auch jetzt bei mir individuell so, es gibt die, die wirklich dann auch im privaten Umfeld, sage ich mal, ihre Kameraden als Freunde dann auch pflegen und sich nur in dieser Bubble bewegen. Aber genauso gibt es, also zumindest habe ich das jetzt so meiner Dienstzeit erlebt, auch diejenigen, die sagen, sie trennen das ganz klar. Aber das sind für mich da nicht die schlechteren Kameraden, sondern da muss jeder für sich den Umgang mit finden. Ich denke dadurch, dass wir ja auch Kameradschaft aus den genannten Gründen in den Streitkräften benötigen und auch nicht dieses Maß an Konkurrenz und Ellenbogenmentalität benötigen in den Streitkräften, sondern ganz im Gegenteil, wir brauchen das Gegenteil dessen. Das wird mir im zivilen Umfeld immer wieder klar: Oh, ist ja echt schön, dass wir diesen Baustein Kameradschaft in den Streitkräften haben, weil ich glaube, diejenigen, die sich für die Streitkräfte entscheiden, die suchen genau das. Und ich bin sehr dankbar, dass ich das erleben darf, durfte und hoffentlich auch in Zukunft darf.

JW:
Vielen, vielen Dank für Deine Einblicke.

OL A:
Vielen Dank für das Interview. Hat mir Spaß gemacht.

JW:
Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, großes Thema, was aus diesem kleinen Wort Kameradschaft entstanden ist. Ich bedanke mich fürs Zuhören und vielleicht erklärt es Ihnen da draußen ja ein wenig besser, warum wir innerhalb der Bundeswehr ticken, wie wir ticken. Denn an Andis Erfahrungen und Äußerungen, die könnten stellvertretend für viele von uns Soldatinnen und Soldaten stehen. Also dann, machen Sie es gut und ich melde mich ab aus dem Funkkreis.

*Name zum Schutz des Soldaten abgekürzt.

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Eine Zeichung von zwei Soldaten, die sich sich gegenseitig einen Arm auf die Schulter legen
Bundeswehr/Maria Scholz