Transkription: Der General der Luftbrücke von Kabul

Transkription: Der General der Luftbrücke von Kabul

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Lesedauer:
9 MIN

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Delta to all. Radio check. Over.
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This is Tango. Over.
Funkkreis – Podcast der Bundeswehr

Tagesschau-Sprecher: Schüsse die außerhalb des Flughafens von Kabul abgefeuert werden. Viele Menschen sind in Panik. Sie wollen Afghanistan möglichst schnell verlassen.

Lehna: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Das sind Eindrücke aus einem Bericht in der Tagesschau vom 16. August 2021. Was sich hier dramatisch anhört, war es auch. Die Bundeswehr musste handeln und tat das. Sie schickte den Kommandeur der Luftlandebrigade 1 nach Afghanistan. Mit seinen Frauen und Männern hat er letztes Jahr im August 1.000 schutzbedürftigen Menschen die Flucht vor den Taliban ermöglicht. Dafür hat er vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz erhalten.  Doch auch sonst hat dieser General einen außergewöhnlichen Werdegang vorzuweisen. Mehr dazu gleich in der heutigen Folge Funkkreis. Mein Name ist Hauptmann Matthias Lehna aus der Redaktion der Bundeswehr. Und heute begrüße ich General Jens Arlt. Guten Tag, Herr General.

Arlt: Ja, schönen guten Tag.

Lehna: Seit 1998 sind Sie ausgebildeter Kommandosoldat. Wie kam es dazu?

Arlt: Das ist ein Zufall. Schlichtweg Zufall. Aus der Aufklärungstruppe haben wir viele Lehrgänge schon mitgebracht. Ich war zu der Zeit schon aktiv als Automatikspringer, Freifaller, Einzelkämpfer und in anderen Lehrgängen. Ich wurde dann durch den Personalführer angeschrieben und bin dann ganz normal in die Eignungsfeststellung gegangen – 1997 noch alter Art. Nachdem die Aufnahmen positiv waren, auch mit dem Durchlaufen einzelner Abschnitte, bin ich dann komplett ausgebildet worden.

Lehna: Ich verstehe. Also Ihr Spezialkräfte-Hintergrund zieht sich durch Ihren Werdegang. Wie sehr hat Sie diese Zeit geprägt? Was haben Sie daraus mitgenommen?

Arlt: Ich glaube, dass diese Zeit mich massiv geprägt hat. Sie hat ein komplett anderes Denken entwickelt. Auch Einblicke in strategische Ebenen und Implikationen und natürlich, dass man ein Stück weit ausprobieren muss. Also man kann Sachen im Bereich der Spezialkräfte nicht zwei- oder dreimal wiederholen. Man muss also innovativ und kreativ sein. Ich glaube, das ist ein Stück weit das, was sich in allen Bereichen durchgezogen hat.

Lehna: War es schwer, von den Spezialkräften in die „reguläre Truppe“ zurückzukommen?

Arlt: Ich glaube, der größte Bruch damals – das Anstrengendste, wenn man aus dem taktischen Bereich der Spezialkraft kommt – war der Wechsel, als ich in die Generalstabsausbildung ging. Danach weiß man schnell, wenn man auf den unterschiedlichen Ebenen der Spezialkräfte verwendet wird, dass die Zeit endlich ist. Also auch mit Kommandeurverwendung, ministeriellen Verwendungen et cetera bekommt man natürlich einen ganz anderen Einblick und eine ganz andere Sichtweise für bestimmte Dinge.

Lehna: Sie haben eben das Kreativsein bei den Spezialkräften angesprochen und auch, dass man dort mal experimentiert. Was meinen Sie damit?

Arlt: Ja, ich denke, es sind viele Sachen. Es ist nicht nur das, dass man da halt viel experimentieren muss, sondern auch, dass man innovativ und kreativ sein muss. Man braucht aber genauso Vertrauen und muss auch Vertrauen in die Männer und Frauen haben, also dass die Dinge, die man anstoßen will, auch einfach mal gemacht werden, ohne dass man am Anfang genau weiß: Wird das funktionieren oder nicht? Also dahingehend auch Risikofreude und Experimentierfreude aufweisen.

Lehna: Sie waren ja schon in vielen Einsätzen. Wie wichtig ist Ihnen diese Erfahrung?
 
Arlt: Ich glaube, sie ist essenziell, weil sie mehrere Dinge mitbringt. Sie bringt für mich immer ein sozialberufliches Selbstverständnis mit. Sie gehört mit dazu zu unserem Beruf. Sie bringt aber natürlich auch andere Facetten und Einblicke. Jeder Einsatz ist anders. In den Kontingenten gedacht, ist auch jedes Kontingentdenken anders. Und es gibt damit auch eine ganz andere Rahmenbedingung, Rückflüsse und Rückschlüsse für einen selbst. Die Person entwickelt sich, die Person Arlt hat sich damit auch sicherlich anders entwickelt.

Lehna:  Können Sie darauf mehr eingehen, inwiefern?


Arlt: Na ja, es sind halt Eindrücke. Also nehmen Sie mal an, dass Sie in diesen ersten Phasen auf dem Balkan aktiv waren. Dann sind da vielleicht Bilder in Ihrem Kopf davon, wie Sie untergebracht waren. Wir waren zum Teil ja nur in Zelten untergebracht, als wir meinetwegen in Kosovo waren. Die Umstände waren komplett anders. Wenn man das mit anderen Rahmenbedingungen vergleicht, dann sind das immer wieder neue Facetten, die dort miteinander in Kontext kommen. Wenn es um Kriegsverbrecher geht, ist es wieder eine ganz andere Domäne. Also all diese Dinge haben in meiner Denke Einfluss auf die Person und wirken sich im Positiven als auch im Negativen auf die Erfahrungen, die Sie machen, aus.

Lehna: Ich denke, von Ihrem Erfahrungsschatz konnten Sie profitieren. Zuletzt haben Sie die Evakuierungsoperation am Flughafen Kabul geführt. War das Ihr bisher schwerster und gefährlichster Einsatz?

Arlt: In der Gesamtshow würde ich sagen, es ist der intensivste Einsatz gewesen, weil er halt der komplexeste war, in den ganz kurzen Phasen eine hohe Intensität über den gesamten Zeitraum erforderte, mit unglaublich viel Koordinierungsaufwand und einer unglaublichen Dynamik. Und das war verbunden mit den ganzen Stressoren und Faktoren darum herum – einschließlich hygienischen Umständen.

Lehna: Was haben Sie gedacht, als klar war, dass Sie mit Ihren Frauen und Männern quasi über Nacht nach Kabul geschickt werden?

Arlt: Ich hatte ein gutes Gefühl von vornherein, weil wir die Kräfte dafür einfach auch vorhalten. Auch wenn sich die ein oder anderen nicht persönlich kannten: Ich glaube, in der Gesamtshow waren wir uns einig, dass die Sache funktionieren wird, und so sind wir auch reingegangen. Also mit dem Selbstbewusstsein und dem Verständnis: Wir werden das hinkriegen.

Lehna: In den Medien hieß es, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer habe Ihnen weitreichende Befugnis in Kabul eingeräumt. Was bedeutet das?

Arlt: Im Endeffekt hat sie mir dort als verantwortlichem, taktischem Führer jegliche Entscheidung zugebilligt. Ich glaube, in dieser Phase war das auch genau richtig. Sie hat mir im Endeffekt das Vertrauen geschenkt, um Dinge dort zu machen und zu lösen, was wir auch gemacht haben. Also im Endeffekt wurden die Entscheidungsebenen auf meine Ebene delegiert, natürlich auch mit einer hohen Verantwortung. Also es sind ja auch immer zwei Seiten der Medaille. Das Preisschild ist relativ hoch, damit eine bestimmte Erwartungshaltung geweckt wird. Aber damit wurden Entscheidungen beschleunigt: Wir konnten schneller reagieren, wir konnten viele Dinge einfacher ermöglichen und ich glaube, das war in der Phase absolut richtig.

Lehna: Sie haben ja im Vorgespräch gesagt, Sie konnten vor Ort autark handeln. Was meinen Sie damit?

Arlt: Autark heißt, wir hatten aus dem Gesamtpaket, das, was wir hier militärisch sagen, „hier Schwerpunkt“, ja, das war so. In allen Facetten, das heißt, es hat in keiner Art und Weise daran gemangelt, dass uns irgendetwas fehlte. Wir waren damit für uns als Nation und als Evakuierungsverband autark. Wir waren auch nicht angewiesen auf andere Nationen, mussten uns dort nicht mit Anträgen und dergleichen verständigen, sondern konnten andere Nationen unterstützen. Und das hatte in der Phase natürlich unglaublich viel Wirkung gehabt.

Lehna: Sie haben vor Ort deutliche Worte gewählt: „Scheiße ist es hier!“ und „Euer Kommandeur weint abends auch.“ Was wollten Sie damit erreichen?

Arlt: Es geht einfach darum, dass man offen ist und transparent und dass man das wirklich auch lebt. Sie müssen den Männern und Frauen einfach auch sagen, wie es Ihnen geht. Wir sind alle Menschen und ich glaube, das Entscheidende in solchen Einsätzen und Extremsituationen ist, dass man Mensch ist und Mensch bleibt. Das ist unabhängig von dem, was man auf dem Dienstgrad hat, sondern es geht dann einfach darum: Die Männer und Frauen vertrauen Ihnen. Sie gucken genau auf Sie. Sie sind wie so eine Art Galionsfigur oder so ein Anker. Sie richten sich nach Ihnen aus und wenn sie merken, dass Sie genauso Mensch sind, ist das ganz, ganz wichtig. Aber das muss authentisch sein. Das müssen Sie sein und deswegen bin ich da auch so direkt in den Worten.

Lehna: Hatten Sie schon einmal das Gefühl, generell oder speziell im Einsatz, dass Ihnen die Führung entgleitet?

Arlt: Nein. Ganz, ganz klar. Also, wie schon gesagt, bin ich jemand, der ganz genau zuhört, dann auch ganz klaren Führungsanspruch hat, diesen auch artikuliert, ihn bildlich klarmacht und verständigt. Von der Philosophie bin ich so, dass ich sage: Es muss verstanden werden, was ich will, und es muss gut umsetzbar sein. Dann brauche ich gute Ideen aus den Bereichen, auch gute Beratung, und dann treffe ich eine Entscheidung. Die muss nicht unbedingt immer stringent abgeleitet sein, manche Sachen sind einfach auch intuitiv. Das ist in Einsätzen nicht anders, weil Sie manchmal einfach ein Gespür haben für eine Situation. Die Faktoren sind anders, aber Ihr Bauchgefühl sagt Ihnen, darauf müssen Sie hören. Dafür brauchen Sie ein Stück weit auch Lebenserfahrung, Erfahrung aus anderen Bereichen, um diese dann zusammenzubringen.

Lehna: Bei Ihrer Rückkehr haben Sie die Ministerin dann umarmt und standen mit Gewehr vor der Presse. War Ihnen die Wirkung des Bildes bewusst?

Arlt: Nein, aber es war für mich auch gar kein Gedanke daran, weil mit dem Eintreffen in Wunstorf klar war, dass wir mit den Elementen weiterverlegen. Es ist also nicht unser Endpunkt, ob es jetzt im Luftmarsch oder im Landmarsch weitergeht, und damit war klar: Wir nehmen unsere Ausrüstung komplett mit. Die geht von den Maschinen runter, wir sind im Einsatz auch mit den Waffen unterwegs gewesen. Das gehörte für uns einfach dazu. Deswegen war es auch vollkommen klar: Die Waffen bleiben am Mann.

Lehna: Nach der Mission standen Sie im Rampenlicht. Alle wollten mit Ihnen sprechen. Wie gehen Sie mit Ihrer Rolle als Held um?

Arlt: Dieser Begriff „Held“, der stört mich schon, das ist das Erste. Denn es gibt für mich keine Helden. Ich habe dort einen Auftrag bekommen. Ich war der militärische Verantwortliche und habe diesen Auftrag bestmöglich, mit dem besten Gewissen mit den Männern und Frauen umgesetzt. Also knallhart in der Diktion. Dass wir eine Wertschätzung und Würdigung in der Form erfahren haben, wie sie jetzt durchgeführt wurde, hätte sich, glaube ich, keiner ausmalen können, dass es uns erstens zuteilwird. Und zweitens hatte auch keiner diese Erwartungshaltung. Was ich wirklich begrüße und was ich auch wirklich toll und schön finde, ist die Würdigung der Leistung und dass man es auch ermöglicht hatte, die Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Und das meine ich nicht durch die Auszeichnung eines Einzelnen allein, dass man sich mit den Männern und Frauen, ob es nun der Bundestagspräsident war oder, oder, oder, sich wirklich ins Benehmen gesetzt hat und einfach durch den Austausch auf allen Ebenen diese Verbundenheit gezeigt hat. Das sind ganz, ganz wichtige Aspekte.

Lehna: Herr General, vielen Dank für das Gespräch!

Arlt: Gern.

Lehna: Ab dieser Folge ändern wir unseren Senderythmus. Schaut auf Bundeswehr.de oder den gängigen Podcast-Anbietern unter Funkkreis – Podcast der Bundeswehr nach. Mein Name ist Hauptmann Matthias Lehna. Ich melde mich ab.

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